Max Werdenberg ist 89 Jahre alt und trägt einen besonderen Titel: «Dorfhistoriker von Allschwil». Sein Leben ist so eng mit der Gemeinde verwoben wie die Balken der alten Riegelhäuser, die er so liebt. Als Möbelschreiner, Offizier und Zivilstandsbeamter hat er die Entwicklung seines Heimatortes über Jahrzehnte nicht nur miterlebt, sondern auch mitgestaltet.
Seine Geschichte ist mehr als nur eine persönliche Biografie; sie ist ein lebendiges Stück Allschwiler Kulturerbe, das von unerwarteten Karrierewegen, einer kuriosen Begegnung mit der Geschichte und einer Leidenschaft, die ihm einen bleibenden Übernamen einbrachte, erzählt.
Das Wichtigste in Kürze
- Max Werdenberg, 89, ist als «Dorfhistoriker von Allschwil» bekannt, ein Titel, der aus seiner Faszination für lokale Riegelhäuser entstand.
- Sein Berufsleben führte ihn vom gelernten Möbelschreiner über eine lange Militärkarriere bis hin zum Zivilstandsbeamten.
- Eine besondere Episode war die Beurkundung des Todes einer 101-jährigen Frau, deren Geburt einst sein Urgrossvater registriert hatte.
- Trotz seines fortgeschrittenen Alters führt er ein aktives und erfülltes Leben, pflegt soziale Kontakte und geniesst seine neue Partnerschaft.
Ein Leben tief in Allschwil verwurzelt
Die Verbindung der Familie Werdenberg zu Allschwil reicht weit zurück. Bereits im Jahr 1404 wurde der Name erstmals urkundlich in der Gemeinde erwähnt. Für Max Werdenberg war es daher selbstverständlich, sein Leben hier zu verbringen. «Ich bin in Allschwil aufgewachsen und habe die Gemeinde nie wirklich verlassen», erzählt er.
Nach der Schulzeit absolvierte er eine Lehre als Möbelschreiner bei der renommierten Firma Hofstetter in Basel. Dort spezialisierte er sich auf hochwertigen Innenausbau und die Restauration von antiken Möbeln. «Es war eine tolle Lehrstelle, bei der ich viel über Präzision und Handwerkskunst gelernt habe», erinnert er sich. Dieser berufliche Grundstein sollte ihm später auf unerwartete Weise Türen öffnen.
Vom Schreiner zum Offizier
Obwohl der Militärdienst in seiner Familie Tradition hatte – sein Vater war im Zweiten Weltkrieg als Gefreiter im Aktivdienst –, stand Werdenberg einer militärischen Laufbahn zunächst skeptisch gegenüber. «Ich wollte eigentlich nicht, aber ich trat dann doch in die Rekrutenschule ein», sagt er. Schnell zeigte sich sein Talent für Organisation und Führung.
Er wurde Korporal und später Offizier. Eine prägende Zeit erlebte er unter Kompanie-Kommandant Oberst Jeanmaire, der Jahre später für landesweite Schlagzeilen sorgte. Die im Militär erworbenen Fähigkeiten erwiesen sich als entscheidend für seinen weiteren Lebensweg. «Ich habe gelernt, Menschen zu führen und zu organisieren. Wichtig war mir dabei immer, allen mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen.»
Eine spontane Bewerbung mit Folgen
Der Übergang vom zivilen ins militärische Berufsleben geschah spontan. Eines Tages fuhr Werdenberg mit dem Velo nach Liestal ins Zeughaus und fragte nach Arbeit. Er bekam eine Stelle, doch seine erste Aufgabe war das Putzen der Toiletten. «Erst später wurde mir klar: Das war ein Test, um meine Einstellung zu prüfen.» Er bestand ihn, erhielt nach vier Monaten eine Festanstellung und blieb zehn Jahre.
Ein Kreis schliesst sich im Zivilstandsamt
Nach seiner Zeit in Liestal wechselte Werdenberg 1971 als Sektionschef zurück nach Allschwil, wo er bis 1986 tätig war. Doch das Schicksal hatte eine weitere besondere Aufgabe für ihn vorgesehen. Die Gemeinde suchte kurzfristig einen stellvertretenden Zivilstandsbeamten, und Werdenberg übernahm die Position.
Mein Urgrossvater trug ihre Geburt ein – ich ihren Tod.
Max Werdenberg
Gleich sein erster Eintrag wurde zu einem unvergesslichen Moment, der Generationen verband. Er musste den Todesfall einer 101-jährigen Frau beurkunden. Beim Blick in die alten Register stellte er fest, dass sein eigener Urgrossvater, der ebenfalls Zivilstandsbeamter war, über ein Jahrhundert zuvor die Geburt derselben Frau eingetragen hatte. Ein Moment, der die tiefe historische Kontinuität in seiner Familie und seiner Gemeinde verdeutlichte.
Die Geburt des «Dorfhistorikers»
Neben seinen beruflichen Verpflichtungen pflegte Werdenberg stets eine enge Verbindung zum Gemeindeleben. Er war im FC Allschwil aktiv, auch wenn er selbst nie Fussball spielte, und erlebte seit 1946 fast jede Basler Fasnacht mit. Seine grösste Leidenschaft entwickelte sich jedoch für die Architektur seines Heimatortes.
Durch einen Kunsthistoriker und alte Dokumente begann er, sich intensiv mit den Patrizierhäusern und insbesondere den Riegelhäusern von Allschwil zu beschäftigen. Die Geschichte des Restaurants «Alte Bäre» faszinierte ihn besonders. Eine Kollegin schlug ihm vor, sein Wissen in einem Vortrag für den Kulturverein zu teilen.
Vom kleinen Vortrag zum grossen Erfolg
Für den Vortragsabend wurden ursprünglich 50 Stühle bereitgestellt. Am Ende kamen 180 Personen, um seinen Ausführungen über die alten Fachwerkhäuser zu lauschen. Der Abend war ein voller Erfolg und der Beginn seines neuen Rufs. Kurz darauf wurden Plakate gedruckt, die ihn als «Dorfhistoriker Max Werdenberg» ankündigten. Der Übername ist ihm bis heute geblieben.
Ein erfülltes Leben mit 89 Jahren
Auch heute, mit 89 Jahren, ist Max Werdenberg voller Lebensfreude. Nach 56 Ehejahren hat er eine neue Partnerin gefunden. «Wir verbringen die Wochenenden gemeinsam, reisen und sie kocht jeden Donnerstag bei mir», erzählt er strahlend. Seinen Haushalt erledigt er nach wie vor selbst, kocht, putzt und schätzt den Austausch mit jüngeren Menschen.
Seine positive Lebenseinstellung ist ansteckend. Er blickt dankbar auf seine Vergangenheit zurück, lebt aber bewusst im Hier und Jetzt. «Ich konnte loslassen und geniesse jetzt. Ich hatte wirklich Glück im Leben», resümiert er. Max Werdenberg ist nicht nur ein Chronist der Allschwiler Geschichte – er ist selbst ein bedeutendes Kapitel darin.





