Die Psychiatrische Klinik Sonnenhalde in Riehen hat anlässlich ihres 125-jährigen Bestehens eine öffentliche Debatte über psychische Gesundheit und gesellschaftliche Normen initiiert. Eine neue Installation am Klinikeingang fordert Besucher direkt heraus, ihre Definitionen von 'verrückt' und 'normal' zu überdenken. Diese Aktion ist Teil einer umfassenderen Auseinandersetzung, die auch eine Kooperation mit dem Historischen Museum Basel umfasst und die Geschichte der Psychiatrie in den Fokus rückt.
Wichtige Erkenntnisse
- Die Sonnenhalde in Riehen feiert ihr 125-jähriges Bestehen mit einer Kampagne zur Neubewertung von 'verrückt' und 'normal'.
- Eine interaktive Wandinstallation am Eingang regt zur Selbstreflexion über gesellschaftliche Normen an.
- Die Klinik kooperiert mit dem Historischen Museum Basel, um die Geschichte der Psychiatrie und die Verschiebung von Diagnosegrenzen zu beleuchten.
- CEO Anja Oswald betont, dass 'verrückt' kein medizinischer Begriff, sondern ein gesellschaftliches Vorurteil ist.
- Die Initiative zielt darauf ab, den Dialog zu fördern und psychische Probleme nicht zu verdrängen, sondern offen anzusprechen.
Die Installation: Eine Frage des Blickwinkels
Direkt am Eingang der Psychiatrischen Klinik Sonnenhalde in Riehen empfängt Besucher seit Kurzem eine grosse Wandinstallation. Je nach Standpunkt und Blickwinkel liest man darauf entweder das Wort 'verrückt' oder 'normal'. Diese visuelle Darstellung ist mehr als eine Spielerei. Sie ist eine Einladung zur Reflexion. Sie fordert Passanten auf, ihre eigenen Konzepte von Normalität und Abweichung zu hinterfragen.
Anja Oswald, CEO der Sonnenhalde, erklärt die Intention hinter der Installation. Sie möchte, dass Menschen innehalten und ihre Denkmuster überprüfen. Oswald betont:
«Wer erlaubt sich überhaupt zu sagen, dass jemand verrückt ist – und wer, dass jemand normal ist?»Sie fügt hinzu, dass 'verrückt' keine medizinische Diagnose sei, sondern ein gesellschaftliches Vorurteil, das auf sozialen Normen basiere.
Faktencheck
- Die Wandinstallation ist an der Psychiatrischen Klinik Sonnenhalde in Riehen zu sehen.
- Sie zeigt die Worte 'verrückt' oder 'normal' je nach Blickwinkel.
- Ziel ist die Anregung zur kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen.
125 Jahre Sonnenhalde: Eine Geschichte des humanen Umgangs
Die Sonnenhalde feiert in diesem Jahr ihr 125-jähriges Bestehen. Diese lange Geschichte ist geprägt von einem fortschrittlichen Ansatz im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen. Die Klinik spielte eine Pionierrolle in der Schweiz für einen humanen Behandlungsansatz. Dieses Jubiläum dient als Anlass, die öffentliche Wahrnehmung von psychischer Gesundheit neu zu definieren.
Bereits im September 2024 eröffnete das Historische Museum Basel die Sonderausstellung «verrückt normal». Diese Ausstellung, die bis Sommer 2025 lief, beleuchtete die Geschichte der Basler Psychiatrie über 150 Jahre. Ein Hauptaugenmerk lag auf der Verschiebung der Grenzen zwischen 'psychisch gesund' und 'psychisch krank' im Laufe der Zeit. Diese historischen Perspektiven bilden eine wichtige Grundlage für die aktuelle Debatte der Sonnenhalde.
Historischer Kontext
Die Psychiatrie hat sich über Jahrhunderte entwickelt. Früher wurden psychische Erkrankungen oft mit Aberglaube oder moralischem Versagen in Verbindung gebracht. Erst im 18. und 19. Jahrhundert begann eine wissenschaftlichere Betrachtung. Die Sonnenhalde steht in einer Tradition, die sich für einen menschenwürdigen Umgang mit Patienten einsetzt und Stigmatisierung entgegenwirkt.
Kooperation mit dem Historischen Museum Basel
Anja Oswald besuchte die Ausstellung des Historischen Museums Basel. Sie bemerkte, dass die Darstellung sich fast ausschliesslich auf die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel konzentrierte. Oswald sah hier eine Chance, die Rolle der Sonnenhalde in der Schweizer Psychiatriegeschichte stärker hervorzuheben. Sie suchte das Gespräch mit der Kuratorin Gudrun Piller. Aus diesem Dialog entwickelte sich eine Zusammenarbeit.
Teile der Ausstellung wurden der Sonnenhalde übergeben. Dazu gehören die eingangs erwähnte 'verrückt normal'-Installation sowie ein bebilderter Zeitstrahl zur Basler Psychiatriegeschichte. Dieser Zeitstrahl wurde mit historischen Beiträgen der Sonnenhalde ergänzt und wird nun in der Hybrid-Tagesklinik am Aeschengraben gezeigt. Diese Ergänzung bietet eine umfassendere Perspektive auf die Entwicklung der Psychiatrie in der Region.
Wichtige Zahlen
- Die Sonnenhalde feiert 125 Jahre Bestehen.
- Die Sonderausstellung des Historischen Museums Basel lief von September 2024 bis Sommer 2025.
- Eine Schubladenwand mit 33 Diagnosen wurde von der Ausstellung übernommen.
Diagnosen im Wandel der Zeit
Ein weiteres zentrales Element, das von der Museumsausstellung übernommen wurde, ist eine aufwendig gestaltete Schubladenwand mit 33 Diagnosen. Diese Wand verdeutlicht, wie sich psychiatrische Diagnosen und gesellschaftliche Einstellungen im Laufe der Zeit verändert haben. Sie zeigt, dass die Psychiatrie immer auch ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer jeweiligen Epoche ist. Gudrun Piller, Kuratorin der Ausstellung, äussert sich positiv:
«Es ist schön zu wissen, dass Teile unserer Sonderausstellung bei der Sonnenhalde weiterführende Verwendung finden und nicht entsorgt werden müssen. Das ist auch ein starkes Zeichen punkto Nachhaltigkeit.»
Johannes Beck, Chefarzt der Sonnenhalde, beschäftigt sich ebenfalls mit der «Schubladisierung» von Menschen. Er reflektiert:
«Die Kategorisierung von verrückt und normal wurde häufig missbraucht – um Menschen zu kontrollieren oder mundtot zu machen.»Heute, so Beck, würdige man die Vielfalt seelischen Erlebens differenzierter. Entscheidend für eine Diagnose sei, ob ein Mensch unter bestimmten Ausprägungen leide und dadurch in seinem Leben eingeschränkt sei.
Widerstände und die Macht des Dialogs
Die neue Installation am Klinikeingang löst nicht nur positive Reaktionen aus. Anja Oswald berichtet von Irritationen und Widerständen, auch beim eigenen Personal.
«Manche fragen sich, ob wir uns selbst oder andere damit meinen.»Doch genau diese Fragen sind beabsichtigt. Die Wand soll zum Nachdenken anregen und die eigenen Paradigmen hinterfragen. Sie spiegelt die eigene Sichtweise auf die Welt wider.
Für Chefarzt Johannes Beck ist die Verbindung von Kunst und Psychiatrie entscheidend. Die Wand soll Diskussionen anstossen. Er sagt:
«Es ist das Beste, wenn man ins Gespräch kommt, wenn man reflektiert. Wer die Wand betrachtet, muss sich fragen, warum er etwas für verrückt hält – und vielleicht entdeckt er dabei Aspekte bei sich selbst, der Politik oder auch der Gesellschaft.»Der offene Dialog ist ein Kernbestandteil der Initiative.
Debatte und Dialog fortsetzen
Die Sonnenhalde plant, die im Jubiläumsjahr angestossene Debatte fortzusetzen. Zum Welttag der psychischen Gesundheit am 10. Oktober lädt die Klinik Mitarbeitende, Patienten und Interessierte zu Workshops ein. Dort werden die Begriffe «verrückt» und «normal» künstlerisch bearbeitet und ergänzt. Johannes Beck erklärt:
«Vielleicht setzt jemand ein Fragezeichen, vielleicht schreibt jemand ein neues Wort darüber.»Wichtig sei ein offener und respektvoller Austausch.
Anja Oswald betont die grundsätzliche Bedeutung dieser Initiative. Sie unterstreicht:
«Wer sich Hilfe sucht, zeigt Stärke und Mut. Viel gefährlicher ist es, Probleme zu verdrängen und nach aussen so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Ist es nicht verrückt, dass jene als 'normal' gelten, die dies tun?»Die Klinik möchte weg von einer Defizitorientierung hin zu einer Ressourcenorientierung. Jeder Mensch sei einzigartig und bringe Potenziale mit. Es sei die Aufgabe der Gesellschaft, Wege zu finden, damit jeder seinen persönlichen Beitrag leisten könne.
Oswald bietet eine weitere Interpretation der Wandinstallation:
«Wenn man den Weg hinauf zur Klinik läuft, liest man ‘normal’. Wenn man hinuntergeht, steht dort ‘verrückt’.»Für sie bedeutet dies: Wer in die Sonnenhalde kommt, um Hilfe zu suchen, verhält sich gesund und 'normal'. Wer hingegen Probleme verdrängt, riskiert seine Gesundheit. Dies sei paradoxerweise die 'verrücktere' Verhaltensweise.