Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel widmet der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama die erste umfassende Retrospektive in der Schweiz. Die Ausstellung bietet einen tiefen Einblick in das über 70-jährige Schaffen einer der bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart, deren Werk von Punkten, Wiederholungen und dem Streben nach Unendlichkeit geprägt ist.
Besucher werden in eine Welt entführt, die zwischen Halluzination und Realität schwebt. Von frühen Zeichnungen bis zu ihren weltberühmten „Infinity Mirror Rooms“ zeigt die Schau die Entwicklung einer Künstlerin, die ihre inneren Dämonen in eine einzigartige und universell verständliche Kunstform verwandelt hat.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Fondation Beyeler präsentiert die erste grosse Retrospektive von Yayoi Kusama in der Schweiz.
- Die Ausstellung umfasst Werke aus allen Schaffensphasen der heute 96-jährigen Künstlerin.
- Im Mittelpunkt stehen ihre ikonischen Polka Dots, Kürbisse und die immersiven „Infinity Mirror Rooms“.
- Kusamas Kunst verarbeitet persönliche Traumata und psychische Belastungen, insbesondere Halluzinationen, die sie seit ihrer Kindheit erlebt.
Wer ist Yayoi Kusama?
Yayoi Kusama wurde 1929 in Matsumoto, Japan, geboren. Ihre Kindheit war geprägt von einer strengen Erziehung und den traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Schon früh litt sie unter visuellen und auditiven Halluzinationen, bei denen sie wiederkehrende Muster wie Punkte und Netze sah, die ihre gesamte Umgebung zu verschlingen schienen. Diese Erfahrungen wurden zum zentralen Motiv ihres künstlerischen Schaffens.
Um ihren Visionen zu entkommen und sie gleichzeitig zu verarbeiten, begann sie zu malen. Die Kunst wurde für sie zu einer Form der Selbsttherapie. Die zwanghafte Wiederholung von Mustern, insbesondere der Polka Dots, ist ein direkter Ausdruck dieses Prozesses. Kusama beschreibt es als „Selbstauslöschung“ – ein Versuch, sich durch die Kunst im Universum aufzulösen und eins mit ihrer Umgebung zu werden.
Von Japan nach New York
In den späten 1950er Jahren zog Kusama nach New York, wo sie schnell zu einer zentralen Figur der Avantgarde-Szene wurde. Sie experimentierte mit Malerei, Skulptur, Performances und Installationen und beeinflusste Künstler wie Andy Warhol und Claes Oldenburg. Trotz ihres Erfolgs kämpfte sie weiterhin mit psychischen Problemen und kehrte 1973 nach Japan zurück. Seit 1977 lebt sie freiwillig in einer psychiatrischen Klinik in Tokio, wo sie bis heute täglich in ihrem nahegelegenen Atelier arbeitet.
Die Faszination der Punkte und Kürbisse
Die Ausstellung in der Fondation Beyeler führt die Besucher chronologisch durch Kusamas Werk. Frühe, oft düstere Arbeiten auf Papier zeigen bereits die Anfänge ihrer Obsession mit Mustern und organischen Formen. Der Übergang zu den grossformatigen „Infinity Nets“, endlosen, monochromen Netzstrukturen, markiert einen wichtigen Schritt in ihrer Entwicklung.
Das Symbol des Kürbis
Ein wiederkehrendes und vielleicht ihr bekanntestes Motiv ist der Kürbis. Für Kusama hat der Kürbis eine tiefe persönliche Bedeutung, die bis in ihre Kindheit zurückreicht. Die Familie ihrer Eltern betrieb eine Gärtnerei, und die Form des Kürbisses vermittelte ihr ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit. In ihren Werken wird der Kürbis zu einer fast menschlichen Figur – oft bunt, mit Punkten übersät und in monumentaler Grösse.
„Der Kürbis hat eine ansprechende Form, ist eine Quelle der Inspiration und verkörpert für mich eine Art von Bescheidenheit und Stabilität.“
Die riesigen, gelb-schwarzen Kürbisskulpturen sind heute weltweit in Museen und öffentlichen Räumen zu finden und haben Kusama zu einer Ikone der zeitgenössischen Kunst gemacht. Sie sind ein perfektes Beispiel dafür, wie die Künstlerin ein einfaches, alltägliches Objekt in ein Symbol für universelle Themen wie Wachstum und Fruchtbarkeit verwandelt.
Immersive Welten: Die „Infinity Mirror Rooms“
Ein Höhepunkt der Ausstellung sind zweifellos die „Infinity Mirror Rooms“. Diese verspiegelten Räume schaffen die Illusion eines unendlichen Raumes, in dem sich Lichter, Objekte und der Betrachter selbst ins Endlose vervielfachen. Die Besucher treten in eine andere Dimension ein, in der die Grenzen zwischen Ich und Umgebung verschwimmen.
Ein globales Phänomen
Yayoi Kusama ist eine der kommerziell erfolgreichsten lebenden Künstlerinnen. Ihre Ausstellungen ziehen weltweit Millionen von Besuchern an. Allein ihre Ausstellung im Hirshhorn Museum in Washington D.C. im Jahr 2017 verzeichnete über 160.000 Besucher in nur drei Monaten, was zu langen Warteschlangen und einem Social-Media-Hype führte.
Die Fondation Beyeler zeigt mehrere dieser immersiven Installationen. Eine davon, „The Spirits of the Pumpkins Descended into the Heavens“, kombiniert ihre beiden wichtigsten Motive: einen verspiegelten Kubus, gefüllt mit leuchtenden, gepunkteten Kürbissen. Der Betrachter blickt durch ein Guckloch in eine endlose Landschaft aus gelben und schwarzen Formen.
Diese Räume sind mehr als nur ein visuelles Spektakel. Sie sind der physische Ausdruck von Kusamas Konzept der „Selbstauslöschung“. Indem der Betrachter in einem unendlichen Raum reflektiert wird, wird er Teil des Kunstwerks und verliert für einen Moment das Gefühl seiner eigenen Begrenztheit. Es ist eine direkte Einladung, an der halluzinatorischen Welt der Künstlerin teilzuhaben.
Eine Kunst, die verbindet
Obwohl Yayoi Kusamas Werk tief in ihrer persönlichen Psychologie und ihren traumatischen Erfahrungen verwurzelt ist, besitzt es eine universelle Anziehungskraft. Ihre leuchtenden Farben, die hypnotischen Muster und die spielerischen Formen sprechen Menschen jeden Alters und jeder Herkunft an.
- Wiederholung als Meditation: Die endlosen Punkte und Netze können eine fast meditative Wirkung haben.
- Partizipation des Betrachters: Besonders die Spiegelräume machen den Besucher zum aktiven Teil des Kunstwerks.
- Zugänglichkeit: Trotz der komplexen psychologischen Hintergründe ist die visuelle Sprache Kusamas direkt und verständlich.
Die Ausstellung in der Fondation Beyeler ist mehr als nur eine Kunstschau; sie ist eine Reise in den Geist einer aussergewöhnlichen Frau. Sie zeigt, wie Kunst zur Bewältigungsstrategie werden kann und wie aus tiefstem persönlichen Schmerz etwas entstehen kann, das Freude, Staunen und Trost spendet. Die Werke von Yayoi Kusama sind ein Beweis für die transformative Kraft der Kreativität und die unendlichen Möglichkeiten der menschlichen Vorstellungskraft.





