Neun Monate nach Inkrafttreten des nationalen Verhüllungsverbots wurde im Kanton Basel-Stadt noch keine einzige Busse verhängt. Dies geht aus einer Antwort der Basler Regierung auf eine Anfrage des SVP-Grossrats Joël Thüring hervor. Obwohl die Polizei bei Demonstrationen mögliche Verstösse feststellte, wurde aus Gründen der Verhältnismässigkeit auf Strafen verzichtet.
Das Bundesgesetz über das Verbot der Verhüllung des Gesichts gilt seit Anfang des Jahres in der gesamten Schweiz. Es verbietet, das Gesicht an öffentlich zugänglichen Orten zu verbergen, und sieht bei Zuwiderhandlungen Geldstrafen von bis zu 1000 Franken vor. Die bisherige Umsetzung in Basel wirft Fragen zur praktischen Handhabung des Gesetzes auf.
Das Wichtigste in Kürze
- Seit neun Monaten gilt das schweizweite Verhüllungsverbot.
- In Basel-Stadt wurde bisher keine einzige Busse ausgesprochen und kein Strafverfahren eingeleitet.
- Die Polizei stellte bei sieben Demonstrationen potenzielle Verstösse fest, verzichtete aber auf Kontrollen.
- Die Regierung begründet das Vorgehen mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit und der Meinungsäusserungsfreiheit.
Eine Bilanz ohne Sanktionen
Das nationale Verhüllungsverbot, das seit dem 1. Januar 2024 in Kraft ist, hat in Basel-Stadt bisher zu keinerlei Sanktionen geführt. Diese Information wurde durch eine Interpellation des SVP-Politikers Joël Thüring öffentlich, der von der Kantonsregierung eine Bilanz zur Umsetzung des neuen Gesetzes forderte.
Die Antwort der Regierung ist eindeutig: „Bisher wurden noch keine Ordnungsbussen ausgesprochen und keine Strafverfahren eingeleitet“. Diese Tatsache ist bemerkenswert, da das Gesetz landesweit für Diskussionen gesorgt hatte und eine konsequente Durchsetzung erwartet wurde.
Fokus auf Demonstrationen
Die Basler Kantonspolizei hat laut Regierungsangaben seit Jahresbeginn bei insgesamt sieben Demonstrationen mögliche Verstösse gegen das Verhüllungsverbot registriert. Dabei handelte es sich jedoch nicht um traditionelle religiöse Verschleierungen wie Burkas oder Nikabs.
Stattdessen verhüllten Demonstrierende ihre Gesichter vorwiegend mit Schlauchschals oder vereinzelt mit Atemschutzmasken. Trotz dieser Beobachtungen entschied sich die Polizei in allen Fällen gegen ein Eingreifen oder die Durchführung von Personenkontrollen.
Hintergrund zum Verhüllungsverbot
Das schweizweite Verhüllungsverbot wurde nach einer Volksabstimmung im März 2021 eingeführt, bei der sich eine knappe Mehrheit der Stimmbevölkerung dafür aussprach. Das Gesetz verbietet die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum. Ausnahmen gelten unter anderem aus gesundheitlichen, klimatischen oder sicherheitsrelevanten Gründen sowie für traditionelles Brauchtum.
Verhältnismässigkeit als oberstes Gebot
Die Basler Regierung verteidigt das Vorgehen der Polizei und verweist auf zentrale rechtsstaatliche Prinzipien. Insbesondere bei Versammlungen müsse der „Grundsatz der Verhältnismässigkeit und Meinungsäusserungsfreiheit“ beachtet werden. Ein repressives Vorgehen der Polizei könnte die Lage eskalieren lassen und die Grundrechte der Demonstrierenden unverhältnismässig einschränken.
„Gerade bei Demonstrationen gilt es, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und die Meinungsäusserungsfreiheit zu beachten“, schreibt die Regierung in ihrer Antwort an Joël Thüring.
Diese Haltung impliziert, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und die Vermeidung von Konfrontationen Vorrang vor der strikten Durchsetzung des Verhüllungsverbots haben, solange keine unmittelbare Gefahr von den verhüllten Personen ausgeht.
Die Frage des Missbrauchs von Hygienemasken
Ein weiterer Punkt in Thürings Anfrage betraf die Sorge, dass das Gesetz durch das Tragen von Hygienemasken umgangen werden könnte. Da diese aus gesundheitlichen Gründen weiterhin erlaubt sind, besteht die theoretische Möglichkeit eines Missbrauchs, um die eigene Identität gezielt zu verschleiern.
Die Regierung konnte hierzu jedoch keine Aussage treffen. Da bisher keine Personenkontrollen im Zusammenhang mit dem Verhüllungsverbot durchgeführt wurden, habe sich die Frage eines möglichen Missbrauchs in der Praxis noch nicht gestellt. Die Behörden sehen aktuell keinen Anlass, von einer systematischen Umgehung des Gesetzes auszugehen.
Zahlen und Fakten zur Umsetzung
- 0 Bussen: Im Kanton Basel-Stadt wurden in den ersten neun Monaten keine Geldstrafen verhängt.
- 7 Demonstrationen: Bei so vielen Veranstaltungen wurden potenzielle Verstösse festgestellt.
- 1000 Franken: Dies ist die maximale Höhe der Busse bei einem Verstoss gegen das Gesetz.
Schulung und Prävention im Fokus
Anstatt auf repressive Massnahmen zu setzen, konzentriert sich der Kanton Basel-Stadt auf Information und Schulung. Die Regierung erklärt, dass die Organisatoren von Demonstrationen bereits während des Bewilligungsverfahrens über das Verhüllungsverbot und die möglichen Konsequenzen informiert werden.
Dieser präventive Ansatz soll sicherstellen, dass alle Beteiligten über die Rechtslage im Bilde sind und Verstösse von vornherein vermieden werden.
Ausbildung der Polizeikräfte
Die Kantonspolizei Basel-Stadt integriert das Thema aktiv in die Ausbildung ihrer Mitarbeitenden. Sowohl in der Grundausbildung als auch in späteren Weiterbildungen werden die Polizistinnen und Polizisten spezifisch geschult. Laut Regierung befassen sich die angehenden Korpsangehörigen dabei intensiv „mit Fragen der Verhältnismässigkeit und der Deeskalation“.
Diese Schulungen sind entscheidend, um sicherzustellen, dass die Beamten in heiklen Situationen, wie sie bei Demonstrationen auftreten können, angemessen und deeskalierend reagieren. Zudem findet ein regelmässiger Austausch über die Umsetzung des Verbots mit den Nachbarkantonen Aargau, Baselland, Solothurn und Bern statt, um eine möglichst einheitliche Praxis zu gewährleisten.
Ausblick und offene Fragen
Die bisherige Bilanz in Basel-Stadt zeigt, dass die Einführung eines Gesetzes nicht zwangsläufig zu einer Welle von Sanktionen führen muss. Die Behörden wenden das Gesetz mit Augenmass an und stellen die Verhältnismässigkeit über eine strikte Durchsetzung, insbesondere im Kontext der Versammlungsfreiheit.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Praxis in Zukunft entwickeln wird. Die Erfahrungen der ersten neun Monate deuten jedoch darauf hin, dass das Verhüllungsverbot im Alltag der Basler Bevölkerung bisher kaum eine Rolle spielt und die befürchteten Konfliktsituationen ausgeblieben sind. Die Debatte über die richtige Balance zwischen Sicherheit, Freiheit und religiösen Rechten wird jedoch weitergehen.