Das im Jahr 1988 fertiggestellte Wohnhaus am Kirschbaumweg in Bottmingen, entworfen von Michael Alder, verkörpert einen entscheidenden Wendepunkt in der Basler Architektur der späten 1980er-Jahre. Es ist ein Beispiel für eine bewusste Hinwendung zu lokaler Identität, traditionellen Bautypologien und einer Architektursprache, die sich aus der umgebenden Landschaft entwickelt. Dieses Gebäude spiegelt eine Haltung wider, die Funktionalität und Kontextualität über gestalterische Lautstärke stellt.
Wichtige Erkenntnisse
- Michael Alders Haus in Bottmingen von 1988 ist ein Beispiel für kontextuelle Architektur.
- Es markiert einen Wandel in der Basler Architektur der 1980er-Jahre.
- Das Design betont die Integration in die Landschaft und den privaten Gartenraum.
- Funktionalität und Typologie stehen im Vordergrund, nicht gestalterische Effekte.
- Alder sah das Einfamilienhaus als Typus, der sich anpassen lässt.
Ein Bauwerk im Dialog mit seiner Umgebung
Das Haus am Kirschbaumweg ruht auf einem soliden Betonsockel. Seine Fassaden sind mit horizontalen Holzlamellen verkleidet. Diese Wahl der Materialien schafft eine natürliche Ästhetik, die sich gut in die Umgebung einfügt.
Zur Südseite hin öffnet sich das Gebäude mit grossen Fensterflächen. Davor befindet sich eine Loggia. Diese Loggia dient als Übergangsbereich zum Garten und inszeniert den Aussenraum.
Ein weit auskragender Dachrand spendet nicht nur Schatten, sondern fasst den gesamten Baukörper optisch zusammen. Er verleiht dem Haus eine klare, definierte Form.
Zur Strassenseite hin bleibt das Haus bewusst geschlossen. Es wendet der Stadt den Rücken zu. Diese architektonische Entscheidung stärkt den privaten Charakter des Gartens und betont die Orientierung zur umgebenden Landschaft.
Fakt
Das Haus Kirschbaumweg wurde 1988 fertiggestellt. Es ist ein Schlüsselwerk des Architekten Michael Alder und prägte die Basler Architektur seiner Zeit.
Die Basler Architektur der 1980er-Jahre
Die Entstehungszeit des Hauses ist von grosser Bedeutung. Die 1980er-Jahre waren in Basel eine Zeit des Wandels. Unser Redaktor Lukas Gruntz beschreibt diese Periode als einen „Wendepunkt“ in der Architekturgeschichte der Stadt.
Es gab eine Abkehr von der Beliebigkeit der Nachkriegsmoderne. Stattdessen entwickelte sich eine Architektur, die den Kontext ernst nahm. Sie setzte bewusst auf begrenzte Mittel und eine präzise Formensprache.
Architekten wie Diener & Diener, Herzog & de Meuron und Michael Alder prägten diese Entwicklung. Ihre Projekte zeichneten sich nicht durch laute Gesten aus. Vielmehr gaben sie präzise und durchdachte Antworten auf die Anforderungen des Ortes.
„Die 1980er-Jahre waren in Basel ein Wendepunkt: weg von der Beliebigkeit der Nachkriegsmoderne, hin zu einer Architektur, die den Kontext ernst nimmt und die Mittel bewusst begrenzt.“
Michael Alder und das Haus als Typus
Michael Alder betrachtete das Einfamilienhaus nicht als isoliertes Objekt. Er sah es als einen Typus. Seine Arbeit konzentrierte sich auf die Frage, wie sich Grundformen variieren und gleichzeitig fest im Ort verankern lassen.
Die Monografie „Michael Alder. Das Haus als Typ“ aus dem Jahr 2006 beleuchtet diesen Ansatz. Sie beschreibt ihn als einen kollektiven Entwicklungsprozess. Qualität entsteht demnach in der Praxis, und Einfachheit dient der Klärung komplexer Sachverhalte.
Das Haus am Kirschbaumweg ist in dieser Logik ein „zweiter Typ“. Es stellt eine Weiterentwicklung früherer Studien dar. Es bündelt die Erschliessung, schafft klare Raumfolgen und integriert Zwischenräume wie die Loggia. Diese dienen als soziale und klimatische Puffer.
Hintergrundinformation
Michael Alder (1940-2007) war ein Schweizer Architekt, dessen Werk massgeblich die Basler Architekturlandschaft beeinflusste. Er war bekannt für seine pragmatische, kontextbezogene und typologische Arbeitsweise.
Ordnung und Offenheit im Design
Die Fassaden des Hauses erscheinen auf den ersten Blick nahezu symmetrisch. Doch die geschickt platzierten Öffnungen durchbrechen diese Strenge. Diese subtile Ordnung erinnert an die Bauweise Palladios, ohne dabei historisierend zu wirken.
Die verwendeten Materialien und die horizontale Gliederung übersetzen dieses klassische Prinzip in die Gegenwart. Sie schaffen eine moderne Interpretation, die zeitgemäss und doch zeitlos ist.
Im Inneren bleibt das Haus funktional und flexibel. Es ist offen für individuelle Aneignung durch die Bewohner. Es bildet ein strenges Gerüst, das gleichzeitig viel Freiheit in der Nutzung der Räume ermöglicht.
Funktion vor Geste
Die grossen Fensterflächen nach Süden sind keine rein ästhetische Inszenierung. Sie sind eine bewusste funktionale Entscheidung. Sie maximieren den Lichteinfall und ermöglichen weite Ausblicke in die Landschaft.
Die Loggia erfüllt eine Doppelfunktion. Sie dient als geschützter Sommerraum und gleichzeitig als klimatischer Puffer. Sie mildert Temperaturschwankungen zwischen Innen- und Aussenbereich.
Der weit auskragende Dachrand spendet Schatten. Jedes Detail des Hauses folgt einer „Ökonomie des Richtigen“. Das bedeutet, kein Element ist ohne eine klare funktionale Bedeutung.
Zahlen und Fakten
- Baujahr: 1988
- Architekt: Michael Alder
- Merkmal: Horizontale Holzlamellenfassade
- Besonderheit: Südausrichtung mit Loggia
Michael Alders Haltung zur Architektur
Wer Michael Alder persönlich kannte, erinnert sich an einen engagierten Gesprächspartner. Für ihn war Architektur keine Frage des persönlichen Geschmacks. Es war vielmehr eine Frage der Haltung und der Prinzipien.
Die Polarität von „richtig oder falsch“ prägte seine Diskussionen. Sie beeinflusste auch seine Entwürfe. Er suchte stets nach der bestmöglichen, logischsten Lösung für eine Bauaufgabe.
Martin Steinmann beschreibt Alders Denken als die Suche nach einem Wohnrahmen. Dieser Rahmen sollte offen bleiben und gleichzeitig eine klare Haltung zeigen. Am Kirschbaumweg wird dieser Anspruch deutlich sichtbar.
Das Haus bietet ein strenges Gerüst, das Freiheit zulässt. Es schafft eine Ordnung, die individuelle Aneignung und Gestaltung durch die Bewohner ermöglicht. Dies ist ein Kernprinzip von Alders Philosophie.
Ein Haus als Teil eines Ganzen
Alder sah Architektur immer als Teil einer grösseren Konstellation. Sein Credo war: „Kein Gebäude soll allein stehen.“ Diese Haltung wird auch am Haus Kirschbaumweg spürbar.
Das Gebäude tritt bewusst in Beziehung zu seiner Umgebung. Es interagiert mit dem Nachbargebäude und den Kirschbäumen. Diese Bäume gaben dem Weg und dem Haus ihren Namen.
Der Ort ist für Alder nicht nur eine Kulisse. Er ist ein aktiver Mitspieler in der Gesamtlandschaft. Das Haus fügt sich ein und kommuniziert mit seiner Umgebung.
Ehrlichkeit und Einfachheit
Zur gleichen Zeit schärfte eine ganze Generation von Architekten ihre „Werkstattethik“. Peter Zumthor weihte beispielsweise 1986 sein Atelier in Haldenstein ein. Wie Zumthor teilte auch Alder eine Hinwendung zur Ehrlichkeit des Materials.
Beide Architekten bevorzugten eine formale Einfachheit. Die Basler Architektur der 1980er-Jahre kann als eine Bewegung verstanden werden. Sie nutzte den Ort und den Typus stets als grundlegenden entwerferischen Ausgangspunkt.
Weiterführende Literatur
- Lukas Gruntz: Architekturstadt Basel: Die 1980er als Wendepunkt (2025)
- Martin Steinmann: „Das Haus als meine Welt“, Werk, Bauen + Wohnen 6/2001
- Ulrike Zophoniasson-Baierl (Hrsg.): Michael Alder. Das Haus als Typ, Birkhäuser 2006
Kontinuität statt kurzlebiger Pose
Das Haus am Kirschbaumweg ist kein kurzlebiger Solitär. Es ist Teil einer architektonischen Haltung, die Beständigkeit und Dauerhaftigkeit in den Entwurf einbezieht. Die Fassade wird über die Jahre altern. Der Garten wird die Loggia mit der Zeit überwuchern.
Architektur wird hier nicht als ein fertiges, statisches Bild verstanden. Sie ist vielmehr ein Rahmen für das Leben und für ständige Veränderungen. Wenn die Kirschbäume Früchte tragen, wird die Loggia zur Bühne des Alltags.
Hierin liegt möglicherweise die eigentliche Qualität des Hauses: Es bietet nicht nur Raum. Es denkt auch die Zeit und ihre natürlichen Entwicklungen mit ein. Es ist ein Bauwerk, das mit seinen Bewohnern und seiner Umgebung wächst und sich wandelt.
Die Zeichnungen und Texte stammen von Laurence Ziegler / Architektur Basel.