Während viele Kultureinrichtungen noch mit den Nachwirkungen der Pandemie kämpfen, verzeichnen die klassischen Orchester in Basel einen bemerkenswerten Zuwachs an Abonnenten und ausverkauften Sälen. Im Gegensatz zum allgemeinen Trend in der Kulturbranche zeigt sich hier ein starkes Bedürfnis nach traditionellen, analogen Konzerterlebnissen.
Das Wichtigste in Kürze
- Basler Orchester wie das Kammerorchester Basel verzeichnen ein massives Wachstum der Abonnentenzahlen seit 2020.
- Die Nähe zum Publikum durch persönliche Betreuung und gemeinsame Anlässe ist eine zentrale Erfolgsstrategie.
- Studien bestätigen den Wunsch des Publikums nach traditionellen Konzertformaten als Ausgleich zur digitalen Welt.
- Selbst Orchester mit Nischenprogrammen oder ohne staatliche Subventionen profitieren von der grossen Nachfrage.
Ein Aufschwung gegen den Trend
Die Corona-Jahre waren für die Kulturwelt eine Zerreissprobe. Geschlossene Häuser und abgesagte Veranstaltungen hinterliessen tiefe Spuren. Viele Betriebe, darunter das Theater Basel oder die Kaserne Basel, haben bis heute Mühe, die Publikumszahlen der Vor-Pandemie-Zeit zu erreichen. Doch in der Welt der klassischen Musik in Basel zeichnet sich ein anderes Bild ab.
Gleich mehrere Orchester der Stadt melden stabile oder sogar stark gestiegene Abonnentenzahlen. Sie trotzen nicht nur der Krise, sondern erleben einen regelrechten Aufschwung. Dieser Erfolg ist kein Zufall, sondern das Ergebnis gezielter Strategien und eines veränderten Publikumsverhaltens.
Der Kontrast in der Kultur
Während digitale Streaming-Angebote während der Lockdowns boomten, befürchteten viele, das Live-Publikum würde dauerhaft ausbleiben. Die Entwicklung bei den Basler Orchestern zeigt nun, dass das Bedürfnis nach gemeinschaftlichen, hochqualitativen Kulturerlebnissen ohne digitale Ablenkung grösser ist als zuvor.
Kammerorchester Basel: Ein Phänomen des Wachstums
Das eindrücklichste Beispiel für diesen Trend liefert das Kammerorchester Basel. Die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten stieg von 450 im Jahr 2020 auf heute 1050. Das entspricht einem Zuwachs von über 133 Prozent in nur wenigen Jahren. Wie ist das möglich?
Orchesterdirektor Marcel Falk erklärt den Erfolg mit einer unternehmerischen Herangehensweise und einer aussergewöhnlichen Nähe zum Publikum. "Wir versuchen, das Publikum eng an uns zu binden", sagt Falk. Dies geschieht auf vielfältige Weise. Abonnenten erhalten vor jedem Konzert ein eigenes Programmheft per Post zugeschickt – eine persönliche Geste in einer unpersönlichen Zeit.
Beeindruckende Eigenfinanzierung
Der enge Kontakt zu Förderern und Mäzenen zahlt sich aus. Das Kammerorchester Basel weist einen Eigenfinanzierungsgrad von 88 Prozent auf, was in der subventionierten Kulturlandschaft eine Seltenheit ist.
Ein weiterer Baustein des Erfolgs ist die feste Orchesterbesetzung. Das Publikum lernt die Musikerinnen und Musiker über die Jahre kennen und baut eine persönliche Beziehung auf. Besondere Anlässe, bei denen das Orchester und die Zuhörer nach dem Konzert gemeinsam essen, stärken diese Bindung zusätzlich. Um die Abonnentenzahlen gezielt zu steigern, engagierte das Orchester nach der Pandemie die finnische Beratungsagentur Stillart.
Strategien, die verbinden
Die Agentur Stillart scheint ein gemeinsamer Nenner im Erfolg der Basler Orchester zu sein. Auch die Basel Sinfonietta, spezialisiert auf zeitgenössische Musik, arbeitete bereits von 2016 bis 2020 mit den Beratern zusammen. Heute hat das Orchester mit rund 300 Abonnenten stabile Zahlen auf dem Niveau von vor der Pandemie und mehr als noch vor zehn Jahren.
Persönlicher Kontakt als Schlüssel
Für Fiona Stevens, seit diesem Jahr Geschäftsführerin der Basel Sinfonietta, ist der direkte Draht zum Publikum entscheidend. "Ich sage den Gästen jeweils, dass ich in den Pausen an der Theke rumhänge und mich über Gespräche freue", berichtet sie. Dieser unkomplizierte Austausch funktioniert.
Eine Umfrage unter den Stammgästen ergab, dass diese gerade die "nischige" Ausrichtung auf neue Musik und die hohe künstlerische Qualität schätzen. Besonders erfreulich für Stevens war die Rückmeldung, dass das Angebot als nicht elitär wahrgenommen wird.
"Wir merken, dass unsere Stammgäste neugierig sind und neue Musik entdecken wollen. Man schätzt die hohe künstlerische Qualität und die Vielfalt im Programm." - Fiona Stevens, Geschäftsführerin Basel Sinfonietta
Erfolg auch ohne Subventionen
Dass der Klassik-Boom nicht allein von etablierten Institutionen getragen wird, beweist das Neue Orchester Basel. Es kommt gänzlich ohne staatliche Subventionen aus und hat seine Abonnentenzahlen in den letzten vier Saisons mehr als vervierfacht – von rund 200 auf 870. Ein Grossteil der sieben Saisonkonzerte ist mittlerweile ausverkauft.
Laut Sprecherin Isabelle Vionnet ist der Erfolg nicht auf ein grosses Marketingbudget zurückzuführen. Vielmehr sei es das Konzerterlebnis selbst, das die Menschen begeistert. "Der Erfolg dürfte ganz einfach auf das Konzerterlebnis zurückzuführen sein", so Vionnet. Die emotionalen Rückmeldungen nach den Konzerten bestätigen dies. Ein weiterer Pluspunkt: Der Dirigent Christian Knüsel stammt aus Basel und ist in der Stadt stark verankert, was vom Publikum positiv vermerkt wird.
Die Sehnsucht nach dem Analogen
Auch das Sinfonieorchester Basel, das mit der Rückkehr ins renovierte Stadtcasino während der Pandemie zulegen konnte, verzeichnet seither stabile bis leicht steigende Abozahlen. Franziskus Theurillat, Direktor des Orchesters, spricht von einem "enormen Nachholbedarf" nach der veranstaltungsarmen Covid-Zeit.
Diese Beobachtung wird durch wissenschaftliche Studien gestützt. Eine Onlinebefragung der Heidelberger Gesellschaft für innovative Marktforschung (GIM) unter 500 regelmässigen Klassikhörern kam zu einem klaren Ergebnis: Das Konzert überzeugt heute mehr denn je als analoges Erlebnis in einem digitalisierten Alltag.
- Tradition bewahren: Eine grosse Mehrheit der Befragten wünscht sich, dass das Konzert seine traditionelle Form mit Etikette, Konzentration und physischer Präsenz beibehält.
- Soziales Ritual: Es geht um mehr als nur Musik. Das gesellschaftliche Drumherum – sich schick machen, Freunde treffen, in der Pause plaudern – ist ein wichtiger Teil des Erlebnisses.
- Digitale Auszeit: Der Konzertsaal wird zu einem geschützten Raum ohne Smartphone und ständige Erreichbarkeit, ein Ort des reinen Genusses.
Der Erfolg der Basler Orchester ist somit ein starkes Signal. In einer immer schnelleren und digitaleren Welt suchen die Menschen nach Orten der Entschleunigung, der Gemeinschaft und des authentischen Erlebens. Die klassische Musik in Basel bietet genau das – und trifft damit den Nerv der Zeit.





