Das Frauenhaus beider Basel musste im Jahr 2024 insgesamt 334 von Gewalt betroffene Frauen und Kinder abweisen. Trotz einer Erhöhung der kantonalen Beiträge reicht die Finanzierung nicht aus, um die dringend benötigten zusätzlichen Schutzplätze zu schaffen. Die hohe Auslastung von 96 Prozent und eine Finanzierungslücke setzen die Einrichtung unter Druck.
Das Wichtigste in Kürze
- Hohe Abweisungsrate: Im Jahr 2024 konnten 334 schutzsuchende Frauen und Kinder nicht aufgenommen werden.
- Finanzierungslücke: Obwohl die Kantone ihre Beiträge erhöht haben, decken diese nur rund 60 Prozent der Gesamtkosten.
- Fehlende Plätze: Gemäss der Istanbul-Konvention fehlen in der Region mindestens zehn weitere Familienzimmer.
- Hohe Auslastung: Die bestehenden Schutzplätze waren 2024 zu durchschnittlich 96 Prozent belegt, was den Betrieb an die Grenzen bringt.
Ein System am Anschlag
Die Zahlen sind alarmierend: Obwohl das Frauenhaus beider Basel zusammen mit dem Angebot der Heilsarmee insgesamt 33 Schutzplätze zur Verfügung stellt, ist die Nachfrage weitaus grösser. Bettina Bühler, die Geschäftsführerin des Frauenhauses, erklärt, dass die hohe Zahl an Abweisungen die Dringlichkeit des Problems verdeutlicht. „Die Situation zeigt, dass wir an unsere Kapazitätsgrenzen stossen“, so Bühler.
Die hohe Auslastung von 96 Prozent im vergangenen Jahr lässt kaum Spielraum für Notfälle. Eine solche Belegung erschwert die Krisenintervention, für die eigentlich eine Auslastung von rund 75 Prozent ideal wäre, um flexibel auf akute Gefahrensituationen reagieren zu können.
Was ist die Istanbul-Konvention?
Die Istanbul-Konvention ist ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Die Schweiz hat die Konvention 2018 ratifiziert und sich damit verpflichtet, umfassende Massnahmen zum Schutz von Opfern umzusetzen. Eine zentrale Vorgabe ist die Bereitstellung von ausreichend Schutzplätzen, konkret ein Familienzimmer pro 10’000 Einwohner.
Die Finanzierung reicht nicht für einen Ausbau
Auf den ersten Blick scheint die finanzielle Lage verbessert. Die Kantone Basel-Stadt und Baselland haben ihre Beiträge erhöht. Basel-Stadt zahlt neu 20’000 Franken mehr pro Jahr, Baselland rund 260’000 Franken mehr. Doch dieser Anstieg ist laut Bühler trügerisch. „Es handelt sich dabei lediglich um einen Ausgleich, nicht um eine substanzielle Erhöhung für einen Ausbau“, stellt sie klar.
Zuvor deckten die Kantonsbeiträge nur 48 Prozent der Kosten. Mit der neuen Leistungsvereinbarung steigt der Anteil auf rund 60 Prozent. Das bedeutet jedoch, dass das Frauenhaus weiterhin 40 Prozent seines Budgets – rund 800’000 Franken pro Jahr – durch Spenden aufbringen muss.
„Wenn wir mehr Schutzplätze aufbauen würden, müssten wir für jeden davon selbst 40 Prozent investieren. Und das schaffen wir momentan nicht, ohne defizitär zu werden.“
Forderung nach höherer Kostenbeteiligung
Um die laut Istanbul-Konvention fehlenden zehn Plätze zu schaffen, fordert Bühler eine höhere prozentuale Finanzierung durch die Kantone. Ein Antrag auf eine stärkere Beteiligung wurde jedoch abgelehnt. „Mein Wunsch wäre eine höhere Beteiligung. Schliesslich hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, die nötigen Schutzplätze zur Verfügung zu stellen“, betont sie.
Was passiert mit den abgewiesenen Frauen?
Wenn eine Frau keinen Platz im Frauenhaus beider Basel erhält, wird versucht, eine alternative Lösung zu finden. Ein Teil der 334 Abweisungen betrifft auch Anfragen aus anderen Kantonen, was zeigt, dass der Mangel an Schutzplätzen ein landesweites Problem ist.
Das Personal des Frauenhauses sucht aktiv nach freien Plätzen in anderen Kantonen. Dies ist insbesondere bei Hochrisikofällen notwendig, wenn eine Frau sofortigen Schutz benötigt. Solche Fälle liegen vor, wenn beispielsweise Morddrohungen ausgesprochen werden oder der Täter die Frau aktiv stalkt.
Der gefährlichste Moment
Laut Bettina Bühler sind Trennungen die gefährlichsten Situationen für von Gewalt betroffene Frauen. Aus diesem Grund kontaktiert das Frauenhaus Frauen nach einer Anfrage nicht aktiv, um sie nicht zusätzlich zu gefährden, falls der Täter die Kommunikation bemerkt.
Für Frauen, die nirgendwo unterkommen, gibt es Notfalllösungen wie die Vernetzung mit der Opferhilfe oder kurzfristige Hotelplatzierungen. Manchmal ergibt sich auch nach wenigen Tagen ein freier Platz, wenn Betroffene erneut anrufen.
Der schwere Weg aus der Gewalt
Der Aufenthalt im Frauenhaus ist ein einschneidender Schritt. Die ersten 35 Tage sind gemäss dem Opferhilfegesetz kostenlos. Danach kann je nach finanzieller Situation ein Beitrag anfallen. Im Durchschnitt bleiben die Frauen 35 Tage in der Einrichtung.
Der Weg in ein gewaltfreies Leben ist oft schwierig. Etwa die Hälfte der Frauen zieht nach dem Aufenthalt in eine eigene Wohnung. Studien zeigen jedoch, dass die kritischste Phase rund drei Monate nach dem Verlassen des Frauenhauses beginnt, wenn die Frauen die volle Verantwortung allein tragen müssen. Etwa zehn Prozent der Frauen kehren wieder in ihr gewalttätiges Umfeld zurück.
Ein gesellschaftliches Problem
Die Zahl der Schutzsuchenden hat sich in den letzten fünf Jahren fast vervierfacht. Bühler sieht darin nicht nur eine Zunahme der Gewalt, sondern auch ein positives Zeichen: „Es kann auch sein, dass sich die Dunkelziffer minimiert.“ Immer mehr Frauen trauen sich, Hilfe zu suchen.
Sie betont, dass häusliche Gewalt kein privates Problem, sondern eine gesellschaftliche Verantwortung sei. Oft beginne die Gewalt subtil, vor allem in psychischer Form, was es für Betroffene schwer mache, den Anfang zu erkennen. Der Schritt, eine Familie und das soziale Umfeld aufzugeben, ist für viele eine enorme Hürde.
„Häusliche Gewalt ist nichts Persönliches, sondern eine gesellschaftliche Verantwortung. Und die muss jeder und jede Einzelne von uns wahrnehmen.“
Bühler fordert ein Umdenken in der Gesellschaft. Der Schutz der Opfer müsse absolute Priorität haben. „Statistisch gesehen kennen wir alle Opfer und Täter von häuslicher Gewalt“, sagt sie. Es sei entscheidend, nicht wegzuschauen und klar zu signalisieren, dass Gewalt nicht toleriert wird.