Antibiotikaresistenzen sind eine schleichende globale Bedrohung. Jedes Jahr sterben über eine Million Menschen, weil gängige Medikamente nicht mehr wirken. In Basel stellen sich ein kleines Pharma-Start-up und das Universitätsspital dieser Herausforderung und suchen nach neuen Wegen, um multiresistente Keime zu bekämpfen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass Antibiotikaresistenzen jährlich um bis zu 15 Prozent zunehmen.
- Das Basler Start-up Bioversys entwickelt ein neues Antibiotikum, das 2028 auf den Markt kommen soll.
- Grosse Pharmaunternehmen haben sich aus der Antibiotika-Forschung weitgehend zurückgezogen, da sie wirtschaftlich wenig attraktiv ist.
- Das Universitätsspital Basel (USB) hat strenge Kontrollen eingeführt, um den Antibiotikaeinsatz zu reduzieren und Resistenzen vorzubeugen.
Die stille Pandemie
Seit der Entdeckung des Penizillins vor fast einem Jahrhundert haben Antibiotika unzählige Leben gerettet und die moderne Medizin erst möglich gemacht. Doch diese wichtige Waffe wird zunehmend stumpf. Bakterien entwickeln Abwehrmechanismen und werden gegen immer mehr Wirkstoffe immun. Diese multiresistenten Keime stellen eine ernste Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar.
Die Zahlen sind alarmierend. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sterben bereits heute mehr als eine Million Menschen pro Jahr an Infektionen, bei denen Antibiotika versagen. Experten warnen, dass diese Zahl in den kommenden Jahren dramatisch ansteigen könnte, wenn nicht gehandelt wird.
Was sind Antibiotikaresistenzen?
Antibiotikaresistenzen entstehen, wenn Bakterien ihre genetische Struktur so verändern, dass Antibiotika ihnen nichts mehr anhaben können. Dies geschieht durch natürliche Mutation, wird aber durch den übermässigen und unsachgemässen Einsatz von Antibiotika in der Human- und Tiermedizin stark beschleunigt.
Basler Spitäler an vorderster Front
Spitäler sind Hotspots im Kampf gegen resistente Keime. Hier treffen viele geschwächte Patienten auf eine hohe Konzentration von Krankheitserregern, und der Einsatz von Antibiotika ist allgegenwärtig. Das Universitätsspital Basel (USB) hat die Gefahr erkannt und eine Vorreiterrolle in der Schweiz übernommen.
Um die Entstehung neuer Resistenzen zu verlangsamen, überwacht das USB den Einsatz von Antibiotika akribisch. Ein Team von Spezialisten der Klinik für Infektiologie kontrolliert täglich den Verbrauch, insbesondere auf der Intensivstation. „Wir müssen sicherstellen, dass kein Überverbrauch stattfindet, der die Bildung multiresistenter Keime begünstigt“, erklärten die Chefärztinnen Sarah Tschudin Sutter und Nina Khanna kürzlich vor den Medien.
Trotz maximaler Hygiene lassen sich Infektionen im Spital nicht vollständig vermeiden. „Fälle, die wegen schwerwiegender bakterieller Infekte auf der Intensivpflegestation landen, sind häufig spitalerworbene Infektionen“, so die Expertinnen. Gelangen Keime etwa über einen Katheter in den Körper, kann dies für bereits geschwächte Patienten lebensbedrohlich werden, vor allem wenn die üblichen Medikamente nicht mehr wirken.
Todesfälle auch in Basel
In den letzten zehn Jahren gab es am Universitätsspital Basel seltene, aber tragische Fälle, bei denen kein einziges verfügbares Antibiotikum mehr wirksam war. Diese Situationen führten zu Todesfällen und verdeutlichen die Dringlichkeit der Lage.
Für solche Extremfälle hält das USB ein Lager mit in der Schweiz noch nicht zugelassenen Antibiotika bereit. Das Heilmittelgesetz erlaubt deren Einsatz in medizinisch begründeten Einzelfällen, doch dies bleibt die absolute Ausnahme.
Ein Start-up stemmt sich gegen den Trend
Während sich grosse Pharmakonzerne aus der kostspieligen und wenig profitablen Antibiotika-Forschung zurückgezogen haben, springen kleinere Unternehmen in die Bresche. Einer der weltweit führenden Akteure in diesem Nischenmarkt ist das Basler Start-up Bioversys.
Seit 2010 arbeitet das Team von 32 Mitarbeitenden an der Entwicklung neuer Wirkstoffe. Nach fast 15 Jahren Forschung ohne einen einzigen Rappen Umsatz steht das Unternehmen kurz vor dem Durchbruch. „Es ist völlig normal, dass die Entwicklung neuer Medikamente 12 bis 15 Jahre in Anspruch nimmt“, erklärt Gründer und CEO Marc Gitzinger.
„Als Industrie müssen wir uns extrem fokussieren in der Entwicklung neuer Antibiotika. Bei den hochresistenten Keimen gibt es eine Marktlücke und daher einen lukrativen Nischenmarkt.“
Das vielversprechendste Medikament von Bioversys befindet sich derzeit in der finalen Phase III der klinischen Studien. Es zielt speziell auf hochresistente Keime ab, die vor allem in Spitälern auftreten. Gitzinger rechnet mit einem Markteintritt im Jahr 2028 und einem potenziellen Umsatz von bis zu 800 Millionen Franken.
„Das ist nicht vergleichbar mit Diabetes-Medikamenten oder Abnehmspritzen, mit denen sich unter Umständen mehrere Milliarden verdienen lassen“, so Gitzinger. „Für die grossen Pharmaplayer ist diese Dimension weniger interessant.“
Politik und neue Finanzierungsmodelle gefordert
Die Behörden haben das Problem erkannt. Bereits vor zehn Jahren hat der Bund einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen ins Leben gerufen. Anne Lévy, Direktorin des Bundesamts für Gesundheit (BAG), bezeichnete die Resistenzen bei einem Besuch im USB als eine „grosse Gefahr“ für die öffentliche Gesundheit.
Doch die Forschung an neuen Medikamenten braucht dringend bessere finanzielle Anreize. Branchenvertreter wie Marc Gitzinger fordern seit langem neue Finanzierungsmodelle. Als Vorbild dient Grossbritannien, wo der Staat den Pharmafirmen für neuartige Antibiotika einen jährlichen Fixpreis zahlt und so Planungssicherheit schafft.
In der Schweiz fehlt dafür bisher die rechtliche Grundlage. Eine laufende Revision des Epidemiengesetzes soll dies ändern. Ein denkbares Modell wäre, dass der Bund ein festes Kontingent neuer Antibiotika abnimmt, um den Firmen einen Mindestumsatz zu garantieren. Bis dahin liegt die Hoffnung auf dem unermüdlichen Einsatz von Forschern wie denen bei Bioversys und dem verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika in den Spitälern.





