Die Klinik Sonnenhalde in Riehen plant ab Januar 2026 ein wegweisendes Pilotprojekt: Ein sechsmonatiges Personal Health Coaching soll Patientinnen und Patienten nach einem stationären Aufenthalt begleiten. Ziel ist es, Rückfälle und erneute Klinikeintritte zu verhindern. Das Programm wird von der Universität Basel wissenschaftlich begleitet und erhält breite Unterstützung von Politikern, Versicherern sowie Gesundheitsexperten. Sie sehen darin einen nachhaltigen Ansatz, der sowohl das Patientenwohl fördert als auch Kosten im Gesundheitswesen senkt.
Wichtige Punkte
- Pilotprojekt ab 2026: Klinik Sonnenhalde führt sechsmonatiges Personal Health Coaching ein.
- Ziel: Vermeidung von Rückfällen und Wiedereintritten nach stationärem Aufenthalt.
- Wissenschaftliche Begleitung: Universität Basel untersucht die Wirksamkeit des Programms.
- Breite Unterstützung: Politiker, Versicherer und Gesundheitsexperten befürworten den Ansatz.
- Finanzierung: Zwei Millionen Franken beim Kanton Basel-Stadt beantragt.
- Langfristiges Ziel: Aufnahme des Coachings in die Grundversicherung.
Neuer Ansatz gegen den «Drehtüreffekt»
Die Klinik Sonnenhalde, die 2025 ihr 125-jähriges Bestehen feiert, setzt ihre Tradition innovativer Behandlungskonzepte fort. Bereits bei ihrer Gründung in Riehen stand ein humaner und offener Umgang mit psychisch erkrankten Patientinnen im Vordergrund. Dieses Prinzip der patientenzentrierten Versorgung soll nun durch das neue Pilotprojekt weiterentwickelt werden.
Ärztin und CEO Anja Oswald kritisiert seit Längerem das aktuelle Gesundheitssystem, das sie als «kostspielige Reparaturmedizin» bezeichnet. Sie fordert einen Paradigmenwechsel. Oft werden Patientinnen und Patienten nach einem stationären Aufenthalt ohne ausreichende Nachsorge entlassen. Dies führt nicht selten zu sogenannten «Drehtüreffekten», also zu raschen Wiedereintritten in die Klinik.
Faktencheck
- Die Sonnenhalde wurde vor 125 Jahren als innovative Frauenklinik für psychische Erkrankungen gegründet.
- Der «Drehtüreffekt» beschreibt das Phänomen, dass Patienten nach Entlassung schnell wieder stationär behandelt werden müssen.
- Es gibt in der Schweiz einen Mangel an freien Behandlungsplätzen bei niedergelassenen Psychiatern und Psychologen.
Das Personal Health Coaching im Detail
Das ab dem 1. Januar 2026 geplante Pilotprojekt sieht vor, dass Patientinnen und Patienten über einen Zeitraum von sechs Monaten nach ihrer Entlassung von einem Personal Health Coach begleitet werden. Das Hauptziel ist die Vermeidung von gesundheitlichen Rückfällen und erneuten Klinikeintritten. Die Coaches unterstützen die Betroffenen dabei, die in der Klinik erlernten Verhaltensweisen erfolgreich in ihren Alltag zu integrieren.
«Wir sind überzeugt, dass das Programm sowohl aus Patientensicht als auch volkswirtschaftlich Sinn macht», erklärt Anja Oswald, CEO der Klinik Sonnenhalde. «Der Personal Health Coach bleibt nach der Entlassung an der Seite der Betroffenen, strukturiert Kontakte, motiviert zu Bewegung und stärkt die Gesundheitskompetenz.»
Die Vorteile liegen laut Oswald auf der Hand: Die Rate der Wiedereintritte ist in den letzten Jahren gestiegen. Das neue Angebot soll Rehospitalisationen verhindern und damit auch das Risiko chronischer Erkrankungen senken. Die Kosten für die sechsmonatige Begleitung entsprechen dabei etwa den Kosten von zwei bis drei stationären Tagen.
Breite Unterstützung und Finanzierungsfrage
Für die vierjährige Pilotphase hat die Klinik Sonnenhalde beim Kanton Basel-Stadt einen Finanzierungsbeitrag von zwei Millionen Franken beantragt. Die Hälfte dieses Betrags ist für die wissenschaftliche Begleitung durch das Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel vorgesehen. Diese Begleitung soll die Wirksamkeit des Personal Health Coachings objektiv untersuchen.
Ob das Gesuch vom Kanton bewilligt wird, ist noch offen. Der Antrag befindet sich derzeit zur Prüfung beim Basler Gesundheitsdepartement. Unabhängig davon erhält das Konzept der Sonnenhalde im Gesundheitswesen breiten Zuspruch.
Hintergrund: Werner Kübler
Werner Kübler, der ehemalige Direktor des Universitätsspitals Basel, ist heute Präsident des Krankenversicherers Swica. Er befürwortet das Pilotprojekt der Sonnenhalde ausdrücklich. Für Kübler vereint das Personal Health Coaching zwei zentrale Elemente: Versorgungsqualität und Kosteneffizienz.
Kübler hebt die stark gestiegenen Fallzahlen bei jungen Menschen mit psychischen Erkrankungen hervor. Er betont, dass es einen grossen Unterschied mache, ob man Patienten nach dem ersten Klinikaufenthalt unbegleitet in ihr altes Umfeld entlässt oder sie mit einem persönlichen Coaching im Alltag unterstützt. Gelingt dies, sinkt die Rückfallquote und damit die Wahrscheinlichkeit weiterer Spitalaufenthalte.
Für den Swica-Präsidenten steht bei allen Massnahmen im Gesundheitswesen das «wertorientierte Handeln» im Vordergrund. Dieses Kriterium erfüllt das Konzept der Sonnenhalde optimal, weshalb sich die Swica für das Projekt einsetzen möchte. Auch weitere Versicherer und die Gesundheitsförderung Schweiz haben ihre Unterstützung signalisiert.
Wissenschaftliche Evidenz als Schlüssel zur Integration
Der Nachweis des Nutzens durch wissenschaftliche Studien ist entscheidend. Nur wenn das Personal Health Coaching die sogenannten «WZW»-Kriterien erfüllt – das heisst, es ist wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich – kann es in den Leistungskatalog der obligatorischen Krankenpflegeversicherung aufgenommen und von den Versicherungen vergütet werden. Die eidgenössische «Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen» beurteilt dies in Bundesbern.
Gesundheitsexperte Andreas Roos, der dieser Kommission jahrelang angehörte, begrüsst den «innovativen Vorschlag» der Sonnenhalde. Roos kennt das Gesundheitswesen aus verschiedenen Perspektiven und unterstützt die Klinik bei ihrem Vorhaben.
«Innovation muss in erster Linie Patientennutzen bedeuten – und diesbezüglich überzeugt mich das Programm der Sonnenhalde vollkommen», so Roos. Er hält es für wichtig, neuartige Ansätze in Form von wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekten zu testen, um die Evidenz für die WZW-Kriterien zu liefern.
Roos zeigt sich zuversichtlich: «Die Schweiz gilt als eines der innovationsstärksten Länder weltweit. Auch im Gesundheitswesen müssen wir diesen Anspruch einlösen – gerade bei Prozessinnovationen, welche die klassischen Sektorgrenzen überwinden. Wenn das Sonnenhalde-Programm im Pilot wirkt, ist dies eine wesentliche Voraussetzung, um den Sprung in die Grundversicherung zu schaffen.»
Kooperation mit der Universität Basel
Für die wissenschaftliche Begleitung des Pilotprojekts arbeitet die Sonnenhalde eng mit dem Departement für Bewegung, Sport und Gesundheit der Universität Basel zusammen. Dieses Departement entwickelt seit Jahren Programme für einen gesünderen Lebensstil von Patientinnen und Patienten und bildet Fachpersonal im Bereich Personal Health Coaching aus.
Markus Gerber, Departementsvorsteher und Professor für Sport und Psychosoziale Gesundheit, leitet das Zentrum für Bewegungsberatung. Er verweist auf bisherige Forschungserkenntnisse, die zeigen, dass körperliche Aktivität psychische Symptome lindern und Rückfälle reduzieren kann, sofern sie dauerhaft beibehalten wird.
«Im stationären Setting funktionieren Sport- und Bewegungstherapien gut», erklärt Gerber. «Doch nach der Entlassung bricht vieles weg. Das Personal Health Coaching setzt genau hier an: Es stabilisiert Routinen und erhöht so die Chance, dass die positiven Effekte eines gesunden Lebensstils anhalten.»
Das Pilotprojekt mit der Sonnenhalde soll die Wirksamkeit mit weiteren Fallzahlen fundiert belegen.
Weitere prominente Fürsprecher
Auch Alt-Regierungsrat und Alt-Nationalrat Christoph Eymann unterstützt das Pilotprojekt. Er betont, dass es bemerkenswert sei, dass die Sonnenhalde sich für das Personal Health Coaching engagiere, obwohl aus wirtschaftlicher Sicht mit stationären Aufenthalten mehr Umsatz erzielt werden könnte.
«Genau das überzeugt mich: dass die Sonnenhalde in erster Linie an das Wohl der Patientinnen und Patienten denkt und nicht nur die rein finanziellen Aspekte berücksichtigt. Es ist bekannt, dass den Menschen sehr geholfen wird, wenn sie nicht in die Klinik zurückkehren müssen, weil sie dadurch vielleicht eine Stigmatisierung erfahren», so Eymann.
Abgrenzung zu bestehenden Konzepten
Die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) bieten bereits seit einigen Jahren das sogenannte «Home Treatment» an, das im Kern ähnliche Ziele verfolgt. Sonnenhalde-CEO Anja Oswald betont jedoch, dass die beiden Konzepte nicht direkt vergleichbar seien. «Unser Programm ist nicht nur wissenschaftlich validiert und ein Vielfaches günstiger, sondern kann auch bei chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauf und Diabetes erfolgsversprechend eingesetzt werden», erklärt sie.
Oswald sieht im Pilotprojekt das Potenzial, «zum Game-Changer und Start eines echten Paradigmenwechsels» im Gesundheitswesen zu werden. Das Modell könnte langfristig dazu beitragen, die Versorgung psychisch erkrankter Menschen zu verbessern und gleichzeitig das Gesundheitssystem zu entlasten.