Basel-Stadt hat als erster Kanton der Schweiz flächendeckend digitale Maturitätsprüfungen auf privaten Geräten durchgeführt. Trotz kurzfristiger Planänderungen und logistischer Herausforderungen bewerten Experten das Projekt als grossen Erfolg, der schweizweit Beachtung findet. Die Einführung birgt jedoch auch neue Fragen bezüglich Chancengleichheit und dem Einsatz künstlicher Intelligenz.
Wichtige Erkenntnisse
- Basel-Stadt führte erstmals digitale Maturprüfungen auf privaten Geräten durch.
- Die Prüfungen mussten wegen des Eurovision Song Contest dezentralisiert werden.
- Lehrpersonen zeigten unterschiedliche digitale Kompetenzen.
- Künstliche Intelligenz stellt neue Herausforderungen für Prüfungsformate dar.
- Die Akzeptanz der digitalen Matur ist bei Schülern und Lehrern hoch.
Ein Pionierprojekt mit Herausforderungen
Ursprünglich sollten sich diesen Sommer rund 700 Basler Maturandinnen und Maturanden in der St. Jakobshalle versammeln. Dort hätten sie ihre Abschlussprüfungen zentral und überwacht auf ihren eigenen digitalen Geräten ablegen sollen. Dieses Vorhaben war in der Schweiz einzigartig. Doch die Vergabe des Eurovision Song Contest (ESC) nach Basel durchkreuzte diese Pläne. Die Halle wurde für den ESC benötigt, was eine schnelle Umplanung erforderte.
Die Prüfungen mussten kurzfristig an die einzelnen Schulstandorte verlegt werden. Dies stellte die Gymnasien vor eine unerwartete Bewährungsprobe. Jede Schule war nun selbst für die Bereitstellung von genügend Stromanschlüssen und WLAN verantwortlich. Auch die Organisation von Prüfungsunterlagen, Zugangscodes, Sitzordnungen und Ersatzgeräten sowie die Verfügbarkeit von Ansprechpersonen bei technischen Problemen lag in ihrer Hand.
Faktencheck
- 700 Maturanden nahmen an den digitalen Prüfungen teil.
- Die Prüfungen fanden auf privaten Geräten der Schüler statt.
- Der Kanton Basel-Stadt ist der erste in der Schweiz mit einer solchen flächendeckenden Umsetzung.
Evaluation bestätigt Erfolg und zeigt Handlungsfelder auf
Ein Evaluationsbericht der Pädagogischen Hochschule FHNW liegt inzwischen vor. Er kommt zu dem nüchternen Schluss: «Die schriftlichen Prüfungen in digitaler Form konnten erfolgreich umgesetzt werden.» Michael Ruloff, der Leiter dieser Evaluation und Professor an der FHNW, bezeichnete das Ergebnis als Sensation.
«Basel-Stadt hat durch grosses Engagement aller Beteiligten gezeigt, dass es möglich ist, flächendeckend digitale Maturprüfungen durchzuführen, bei denen die Maturanden ihre eigenen Geräte verwenden können. Das ist eine Sensation.»
Ruloff berichtet von Anfragen aus mehreren Kantonen zur Umsetzung dieses Projekts. Die Erfahrungen aus Basel-Stadt gelten schweizweit als wegweisend. Die Digitalisierung an Schulen ist ein Thema, das kein Kanton ignorieren kann.
Unterschiede bei digitalen Kompetenzen der Lehrpersonen
Die Evaluation umfasste Befragungen von Rektoren, Schulleitungen, Lehrpersonal und Maturanden. Eine grosse Mehrheit aller Beteiligten befürwortet den digitalen Wandel an Schulen. Jugendliche haben klare Erwartungen: stets verfügbare Lernmaterialien, bessere Übersichtlichkeit, verschiedene Formate wie Videos und interaktive Übungen sowie zeit- und ortsunabhängiges Lernen sind ihnen wichtig. Auch Chatbots werden als Lernhilfen genannt.
Die diesjährigen Prüfungen zeigten jedoch auch deutliche Unterschiede bei den digitalen Kompetenzen der Lehrpersonen. Einige Lehrkräfte sind technisch sehr versiert, während andere grosse Unsicherheiten im Umgang mit den digitalen Prüfungsumgebungen aufweisen. Dies ist ein wichtiger Punkt für zukünftige Weiterbildungsmassnahmen.
Zukünftige Herausforderungen und der Einfluss von KI
Michael Ruloff betont, dass die digitalen Prüfungen lediglich eine Basis gelegt haben. Viele heikle Fragen müssen die Schulen noch klären. Dazu gehören die Vergleichbarkeit der Ergebnisse, wenn Schüler unterschiedliche Korrekturprogramme nutzen dürfen. Auch die Chancengerechtigkeit bei der Nutzung eigener Geräte und mögliche Probleme wie Kopfschmerzen durch lange Bildschirmzeiten sind wichtige Themen.
Bisher gab es keine Rekurse aufgrund des digitalen Prüfungsformats, was die hohe Akzeptanz in Basel unterstreicht. Das Erziehungsdepartement (ED) hat bereits beschlossen, dass auch der nächste Jahrgang digitale Abschlussprüfungen ablegen wird, erstmals auch im Fach Mathematik.
Hintergrund zur Digitalisierung
Das Basler Erziehungsdepartement hat sich zum Ziel gesetzt, die Maturitäts- und Abschlussprüfungen für das 21. Jahrhundert zukunftsfähig zu machen. Dies umfasst den Ausbau der Infrastruktur, die Einführung von 'Bring Your Own Device' (BYOD) und die Anpassung von Unterricht und Prüfungsformaten.
Mehrwert im Unterricht und die Rolle der Künstlichen Intelligenz
Für Ruloff bringt ein digital geschriebener Deutschaufsatz allein keinen pädagogischen Mehrwert. Die zentrale Frage sei, wie digitale Medien gezielt im Unterricht eingesetzt werden können, um einen echten Nutzen für die Jugendlichen zu schaffen. Dies erfordert neue Lern- und Prüfungsformate, die auch künstliche Intelligenz berücksichtigen.
«Das ist ein immenser Aufwand, und da wird nicht jede Lehrperson bereit sein, mitzuziehen», so Ruloff. Der Schlüssel liegt darin, die Lehrpersonen für dieses Vorhaben zu begeistern und sie entsprechend zu schulen. Die Akzeptanz und die Fähigkeiten des Lehrkörpers sind entscheidend für den Erfolg der weiteren Digitalisierung.
Digitale Zukunft
- Nächster Jahrgang in Basel wird ebenfalls digitale Prüfungen ablegen.
- Mathematik wird erstmals auch digital geprüft.
- Umgang mit künstlicher Intelligenz ist ein zentrales Thema an den Schulen.
Besonders im Fach Mathematik ist der Nutzen digitaler Medien umstritten. Der Vorsteher des Departements Mathematik und Informatik der Universität Basel äusserte sich bereits vor zwei Jahren kritisch. Er sah keine klaren Vorteile in der digitalen Durchführung von Mathematikprüfungen und plant an der Universität vorerst keinen Einsatz digitaler Plattformen in diesem Bereich.
Ruloff widerspricht nicht dem Prinzip, dass nicht alles digital sein muss. Doch auch in der Mathematik sei es unerlässlich, sich mit den Möglichkeiten von KI auseinanderzusetzen. «Ich sehe Jugendliche, die sich die zu lösende Integralrechnung einfach fotografieren und sie mithilfe von KI lösen lassen. Das ist Realität und muss entsprechend berücksichtigt werden», erklärt er.
Weitere Herausforderungen im Blick
Das Basler Erziehungsdepartement sieht sich auf Kurs. Die Digitalisierung der Mittel- und Berufsfachschulen sei in den letzten Jahren erfolgreich verlaufen. Dies betrifft sowohl den Infrastrukturausbau als auch die Einführung von BYOD und die Anpassung von Unterricht und Prüfungsformen.
Aktuell beschäftigen sich die Schulen intensiv mit dem Umgang mit künstlicher Intelligenz. Weitere Themen, die angegangen werden müssen, sind steigende Lizenzkosten und die Frage der Ablenkung vom Unterricht durch die Geräte der Schüler. Die Weiterentwicklung der digitalen Bildung bleibt eine dynamische Aufgabe für Basel-Stadt.





