Ein Forschungsteam der ETH Zürich und der Universität Basel hat einen entscheidenden Mechanismus der menschlichen Befruchtung entschlüsselt. Sie entdeckten, dass die Bindung zwischen Spermium und Eizelle nach dem Prinzip einer „Catch-Bond“ funktioniert: Je stärker die mechanische Belastung, desto fester wird die Verbindung. Diese Erkenntnis könnte neue Wege zur Behandlung bestimmter Formen der Unfruchtbarkeit eröffnen.
Die im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlichte Studie zeigt, dass die Proteine Izumo auf dem Spermium und Juno auf der Eizelle eine der stärksten bekannten biologischen Bindungen eingehen. Dieser Mechanismus stellt sicher, dass die Befruchtung auch unter den dynamischen Bedingungen im weiblichen Körper erfolgreich sein kann.
Das Wichtigste in Kürze
- Einzigartiger Mechanismus: Die Bindung zwischen Spermium und Eizelle wird unter Zug stärker, ein seltenes biologisches Phänomen, das als „Catch-Bond“ bezeichnet wird.
 - Verantwortliche Proteine: Die Interaktion findet zwischen dem Protein Izumo auf der Spermienzelle und dem Protein Juno auf der Eizelle statt.
 - Medizinische Bedeutung: Eine genetische Mutation im Juno-Protein, die etwa eine von 600 Frauen betrifft, schwächt diese Bindung und könnte eine Ursache für Unfruchtbarkeit sein.
 - Zukünftige Therapien: Die Forschungsergebnisse könnten die Grundlage für neue Gentests und gezielte Behandlungen gegen Unfruchtbarkeit bilden.
 
Eine der stärksten biologischen Verbindungen
Der Moment der Befruchtung ist ein komplexer biologischer Prozess. Damit ein Spermium erfolgreich in eine Eizelle eindringen kann, muss es sich zunächst fest an deren Oberfläche anheften. Wissenschaftler wussten bereits, dass die Proteine Izumo und Juno für diesen ersten Kontakt verantwortlich sind. Bisher war jedoch unklar, warum diese Verbindung so aussergewöhnlich stabil ist.
Das Team aus Zürich und Basel hat nun gezeigt, dass diese Bindung nicht wie die meisten molekularen Verbindungen funktioniert. Normalerweise werden solche Bindungen schwächer, wenn mechanische Kräfte auf sie einwirken. Bei der Interaktion von Izumo und Juno ist das Gegenteil der Fall. „Wir haben eine Besonderheit entdeckt, die in der Biologie selten vorkommt“, erklären die Forschenden in ihrer Mitteilung.
Der „Catch-Bond“ Effekt
Die Wissenschaftler bezeichnen diesen Mechanismus als „Catch-Bond“. Man kann es sich wie einen speziellen Knoten vorstellen, der sich unter Zug immer fester zieht. Diese Eigenschaft stellt sicher, dass das Spermium auch bei Bewegungen und Flüssigkeitsströmungen im Eileiter fest mit der Eizelle verbunden bleibt. Ohne diese extrem starke Haftung wäre eine erfolgreiche Befruchtung deutlich unwahrscheinlicher.
Stärker als Muskeln
Die Messungen zeigten, dass die Bindung zwischen Juno und Izumo unter Zug zu den stärksten gehört, die im Reich der mehrzelligen Organismen bekannt sind. Ihre Stärke ist vergleichbar mit der von Proteinen in Muskelfasern, die dafür sorgen, dass diese bei starker Belastung nicht reissen.
Moderne Technik enthüllt molekulare Details
Um die Kräfte zwischen den beiden Proteinen zu untersuchen, nutzten die Forschenden hochentwickelte Labortechniken. Mithilfe eines Rasterkraftmikroskops konnten sie die Moleküle gezielt auseinanderziehen und dabei die wirkenden Kräfte präzise messen. Dieses Gerät funktioniert wie eine winzige Pinzette, die einzelne Proteinpaare greifen und manipulieren kann.
Die experimentellen Daten wurden durch aufwendige Computersimulationen ergänzt. Diese zeigten, was auf atomarer Ebene passiert: Wenn an der Verbindung gezogen wird, verdrehen sich die Proteine leicht. Durch diese minimale Verformung entstehen neue atomare Kontakte zwischen den beiden Molekülen, was die Bindung zusätzlich verstärkt.
„Die Kombination aus Laborexperimenten und Computersimulationen ermöglichte es uns, diesen komplexen Mechanismus aufzudecken und zu verstehen, wie die Natur eine so robuste Verbindung geschaffen hat.“
Neue Hoffnung für Paare mit Kinderwunsch
Die Entdeckung hat eine direkte medizinische Relevanz. Unfruchtbarkeit ist ein weitverbreitetes Problem, und in vielen Fällen bleibt die genaue Ursache unklar. Die Studie liefert nun eine mögliche Erklärung für eine bestimmte Form der weiblichen Unfruchtbarkeit, die bisher rätselhaft war.
Die Forschenden identifizierten eine spezifische genetische Mutation im Juno-Protein, die die Stärke der „Catch-Bond“ erheblich reduziert. Obwohl die Eizellen der betroffenen Frauen ansonsten vollkommen gesund sind, ist die Bindung zum Spermium zu schwach, um eine erfolgreiche Befruchtung zu gewährleisten.
Statistische Relevanz
Schätzungen zufolge trägt weltweit etwa jede 600. Frau diese genetische Mutation im Juno-Protein. Dies könnte erklären, warum einige Frauen trotz moderner Reproduktionsmedizin Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden. Die neue Erkenntnis könnte diesen Frauen eine klare Diagnose und möglicherweise zukünftig eine gezielte Therapie bieten.
Potenzial für Diagnostik und Therapie
Langfristig könnten diese Forschungsergebnisse die Grundlage für neue diagnostische Verfahren bilden. Ein Gentest könnte Frauen mit unerklärter Unfruchtbarkeit auf die Juno-Mutation untersuchen. Dies würde nicht nur eine klare Ursache aufzeigen, sondern auch unnötige und belastende Behandlungen vermeiden.
Darüber hinaus eröffnen die Erkenntnisse Denkansätze für neue therapeutische Strategien. Laut der Mitteilung der ETH Zürich könnten zukünftige Behandlungen darauf abzielen, die geschwächte Bindung zwischen Spermium und Eizelle künstlich zu stärken oder den Defekt zu umgehen. Obwohl die Entwicklung solcher Therapien noch in der Zukunft liegt, ist der erste Schritt zur Lösung eines lange bestehenden medizinischen Rätsels getan.





