Eine neue Studie der ETH Zürich zur Schweizer Verkehrsplanung bis 2045 sorgt in der Region Basel für grossen Unmut. Während der geplante Rheintunnel für den Strassenverkehr als prioritär eingestuft wird, erhalten zentrale Schienenprojekte wie der Tiefbahnhof Basel SBB und das Herzstück keine zeitliche Priorität. Die Regierungen von Basel-Stadt und Basel-Landschaft sowie die Handelskammer beider Basel kritisieren diese Einschätzung scharf.
Das Wichtigste in Kürze
- Die ETH-Studie «Verkehr ‘45» empfiehlt dem Bund, dem Bau des Rheintunnels Vorrang zu geben.
- Wichtige Projekte für den Bahnausbau im Knoten Basel werden in der Studie als nicht vordringlich bewertet.
- Die Regierungen beider Basel und die regionale Wirtschaft bezeichnen diese Gewichtung als «inakzeptabel».
- Sie fordern vom Bund, sowohl den Strassen- als auch den Schienenausbau in der Region gleichermassen voranzutreiben, um einen Verkehrskollaps zu verhindern.
Kritik an fehlender Priorität für Bahnausbau
Die von den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft sowie der Handelskammer beider Basel geäusserte Kritik richtet sich gezielt gegen die Schlussfolgerungen der Studie «Verkehr ‘45». Diese wurde im Auftrag des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) erstellt und soll als Grundlage für zukünftige Infrastrukturentscheide des Bundes dienen.
Die Vertreter der Region argumentieren, dass die Infrastruktur in Basel bereits heute an ihre Grenzen stösst. Sowohl die Strassen als auch die Schienennetze sind stark überlastet. Eine einseitige Bevorzugung des Strassenverkehrs löse die grundlegenden Probleme nicht, sondern verschärfe die Situation auf der Schiene weiter.
Ein Nadelöhr mit nationaler Bedeutung
Der Bahnknoten Basel ist nicht nur für die Region, sondern für die gesamte Schweiz von zentraler Bedeutung. Er fungiert als wichtiges Drehkreuz im nationalen und internationalen Personen- und Güterverkehr. Ein Ausbaustopp würde weitreichende Konsequenzen haben.
«Die Studie kommt wie erwartet zum Schluss, dass der Bahnausbau in Basel für die ganze Schweiz zentral ist», erklärt Esther Keller, Regierungsrätin und Vorsteherin des Bau- und Verkehrsdepartements Basel-Stadt.
«Es ist daher unverständlich, dass die Studie dem Tiefbahnhof und dem Herzstück keine zeitliche Priorität einräumt. Das ist inakzeptabel und muss auf politischem Weg korrigiert werden.»
Ohne eine nahtlose Weiterführung der Planungen, die das Parlament bereits 2019 in Auftrag gegeben hat, drohe ein massives Infrastrukturdefizit. Dieses würde nicht nur den Wirtschaftsstandort Basel schwächen, sondern auch die Anbindung der Schweiz an das europäische Schienennetz gefährden.
Hintergrund: Der Bahnknoten Basel
Der Bahnknoten Basel ist einer der meistfrequentierten der Schweiz. Aufgrund seiner geografischen Lage im Dreiländereck ist er entscheidend für den internationalen Güterverkehr auf der Nord-Süd-Achse sowie für den Personenverkehr nach Deutschland und Frankreich. Projekte wie der Tiefbahnhof SBB und das «Herzstück» sollen die Kapazitäten massiv erhöhen und ein durchgehendes S-Bahn-System ermöglichen, das die trinationale Region besser verbindet.
Wirtschaft warnt vor negativen Folgen
Auch die regionale Wirtschaft zeigt sich besorgt. Martin Dätwyler, Direktor der Handelskammer beider Basel, betont die Dringlichkeit des Schienenausbaus. «Trotz der unbestrittenen Bedeutung des Bahnknotens Basel für die wirtschaftliche Prosperität der Schweiz, bietet die Studie keine Perspektive für dessen dringenden Ausbau», so Dätwyler.
Die Region Basel ist ein florierender Wirtschafts- und Lebensraum mit hoher Wertschöpfung und einer starken Exportleistung. Als einziger Metropolitanraum der Schweiz verfügt Basel jedoch über kein durchgehendes, leistungsfähiges S-Bahn-System. Dies erschwert Pendlern den Alltag und schränkt das Wachstumspotenzial der Unternehmen ein.
Wirtschaftsfaktor Verkehr
Laut der Handelskammer verursachen die täglichen Staus auf der Autobahn A2 bereits heute erhebliche Kosten für die Unternehmen. Jede Staustunde bedeutet verlorene Arbeitszeit und höhere Transportkosten. Eine unzureichende Erreichbarkeit gilt als erheblicher Nachteil für einen international ausgerichteten Wirtschaftsstandort.
Gemeinsame Forderung an den Bund
Die Regierungen beider Basel und die Handelskammer bündeln nun ihre Kräfte, um auf politischer Ebene Druck auszuüben. Ihr Ziel ist es, den Bund von der Notwendigkeit eines parallelen Ausbaus beider Verkehrsträger zu überzeugen. «Gemeinsam setzen wir uns jetzt erst recht mit aller Kraft dafür ein, dass der Tiefbahnhof Basel SBB und der Viertelstundentakt ins Fricktal in die kommende Botschaft 2026 des Bundes aufgenommen werden», erklärt Isaac Reber, Regierungsrat und Vorsteher der Bau- und Umweltschutzdirektion Basel-Landschaft.
Reber bekräftigt die Gefahr, dass die Region ohne entschlossene Investitionen in die Schiene vom «Tor zur Schweiz» zum «Flaschenhals der Schweiz» wird. Dies hätte negative Auswirkungen auf die Landesversorgung und die gesamte Schweizer Volkswirtschaft.
Rheintunnel als Teillösung begrüsst
Trotz der scharfen Kritik am Umgang mit den Schienenprojekten wird die Priorisierung des Rheintunnels grundsätzlich positiv bewertet. Der Tunnel soll die chronisch überlastete Stadtautobahn A2 entlasten und den Durchgangsverkehr unter die Erde verlagern.
«Es ist erfreulich, dass die Studie «Verkehr ‘45» zumindest dem Rheintunnel Priorität einräumt», sagt Martin Dätwyler. «Die Beseitigung der Engpässe auf der stauüberlasteten A2 ist für die Wirtschaft in unserer Region sehr wichtig.»
Mehr Lebensqualität für Anwohner
Auch Isaac Reber sieht im Rheintunnel eine zukunftsfähige Lösung. Er betont, dass dadurch nicht die Gesamtkapazität des Netzes erhöht werde, sondern der Verkehr effizienter geführt werden könne. «Weniger Stau und eine effiziente Verkehrsführung bringen Muttenz und Birsfelden sowie den Quartieren Gellert, Breite und dem Kleinbasel die dringend nötige Entlastung. Das erhöht die Lebensqualität der Anwohnenden.»
Damit das Projekt realisiert werden kann, seien jedoch flankierende Massnahmen unabdingbar. Die Handelskammer prüft derzeit die Lancierung einer Standesinitiative in beiden Kantonsparlamenten. Diese soll sowohl einen verbesserten Rheintunnel als auch den etappierten Ausbau des Bahnknotens Basel von der Bundespolitik einfordern.