Eine neue Studie des Bundes stuft den Ausbau des Bahnknotens Basel als weniger dringlich ein und verschiebt den Baubeginn auf die Zeit nach 2045. Die Basler Verkehrsdirektorin Esther Keller kritisiert die Entscheidung scharf und warnt vor einem verkehrspolitischen Ungleichgewicht, da gleichzeitig ein neuer Autobahntunnel geplant wird.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine ETH-Studie zur Priorisierung von Infrastrukturprojekten empfiehlt, den Ausbau des Bahnknotens Basel bis nach 2045 zu verschieben.
- Die Basler Verkehrsdirektorin Esther Keller bezeichnet die Entscheidung als inakzeptabel und fordert eine Neubewertung der Dringlichkeit.
- Die gleichzeitige Priorisierung des neuen Rheintunnels für den Strassenverkehr bei gleichzeitiger Verzögerung des Schienenausbaus sorgt für politische Spannungen.
- Keller warnt, dass diese einseitige Förderung des Strassenverkehrs die Akzeptanz für das Gesamtpaket bei einer Volksabstimmung gefährden könnte.
ETH-Studie sorgt für Unmut in Basel
Die Region Basel steht vor einer grossen verkehrspolitischen Herausforderung. Eine von ETH-Professor Ulrich Weidmann geleitete Studie hat rund 500 Schweizer Infrastrukturprojekte neu bewertet. Das Ergebnis ist für Basel ernüchternd: Der dringend erwartete Ausbau des Bahnknotens, einschliesslich des sogenannten Herzstücks, wurde in der Prioritätenliste weit nach hinten verschoben.
Laut der Analyse soll mit dem Bau frühestens im Jahr 2045 begonnen werden. Andere Projekte, wie der Durchgangsbahnhof in Luzern, wurden als dringlicher eingestuft. Diese Einschätzung löste bei der Basler Bau- und Verkehrsdirektorin Esther Keller grosses Unverständnis aus. „Das ist eine dicke Bombe, die da geplatzt ist“, kommentierte sie die Nachricht sichtlich verärgert.
Kritik an der Priorisierung
Esther Keller kritisiert die Methodik und die Schlussfolgerungen der Studie. Sie argumentiert, dass die Wichtigkeit des Bahnknotens Basel als nationale und internationale Verkehrsdrehscheibe nicht ausreichend gewürdigt wurde. „Wenn wir die Verteilung der Mittel aufgrund der ETH-Studie betrachten, ist die Region Basel frappant geringer dotiert als andere Regionen“, erklärte Keller.
„Herr Weidmann sieht die Wichtigkeit des Ausbaus in Basel. Aber die Dringlichkeit wird zu wenig gesehen.“
Sie betont, dass die Region bereits jetzt einen erheblichen Nachholbedarf bei der Schieneninfrastruktur habe, da über viele Jahre hinweg zu wenig investiert worden sei. Die Verschiebung des Projekts in die zweite Hälfte des Jahrhunderts sei daher für die Region nicht tragbar.
Zahlen zum Infrastrukturpaket
- 500 Projekte: Die Studie bewertete landesweit rund 500 Infrastrukturvorhaben.
- 112 Milliarden Franken: Das ist das geschätzte Gesamtvolumen aller Projekte.
- 70-80 Milliarden Franken: Diese Summe muss der Bund laut Bericht einsparen, was zu harten Priorisierungsentscheidungen führt.
- 3 Milliarden Franken: Geschätzte Kosten für den Tiefbahnhof, einen ersten Teil des Basler Ausbaus.
Das Ringen um das Herzstück
Im Zentrum der Debatte steht das „Herzstück“, eine geplante unterirdische S-Bahn-Verbindung, die die Bahnhöfe SBB und Badischer Bahnhof verbinden und so die Kapazitäten im gesamten Netz erhöhen soll. Die Planung dieses Grossprojekts läuft seit fast 25 Jahren und hat immer wieder zu Diskussionen geführt.
Kritiker werfen der Region vor, zu lange an einem Maximalprojekt festgehalten zu haben, das nun den gesamten Bahnausbau blockiert. Keller widerspricht dieser Darstellung vehement. Sie argumentiert, dass eine oberirdische Erweiterung der Gleisanlagen im dicht bebauten Stadtgebiet unmöglich sei. „Wo wollen Sie die Kapazität erhöhen, wenn nicht unterirdisch? Nennen Sie mir die Häuserzeile, die wir abreissen können“, so Keller.
Ein Projekt in Etappen
Der Ausbau des Bahnknotens ist als mehrstufiges Programm konzipiert. Der erste Schritt wäre der Bau eines Tiefbahnhofs unter dem bestehenden Bahnhof SBB. Keller räumt ein, dass dieser erste Schritt für sich allein genommen noch keinen grossen Nutzen bringt. Er ist jedoch die zwingende Voraussetzung für die spätere unterirdische Weiterführung der Gleise.
„Der Tiefbahnhof alleine hat keinen Nutzen. Dafür braucht es die weiterführende unterirdische Verbindung“, erklärt sie. Dennoch müsse man jetzt mit diesem ersten Schritt beginnen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. Die Verzögerung des gesamten Programms untergräbt laut Keller die langfristige Verkehrsstrategie der Schweiz.
Die Bedeutung des Bahnknotens Basel
Basel ist einer der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte der Schweiz und ein zentrales Tor zum europäischen Schienennetz. Insbesondere im Güterverkehr spielt die Region eine entscheidende Rolle auf der Nord-Süd-Achse. Ein Kapazitätsengpass in Basel hat weitreichende Auswirkungen auf den nationalen und internationalen Waren- und Personenverkehr.
Konflikt zwischen Schiene und Strasse
Die Situation wird zusätzlich dadurch verschärft, dass die ETH-Studie zwar den Schienenausbau in Basel zurückstellt, der Bau des neuen Autobahn-Rheintunnels aber weiterhin als realistisch bis 2045 gilt. Diese Diskrepanz sorgt für grossen politischen Unmut in der Region.
Esther Keller warnt eindringlich vor einer einseitigen Bevorzugung des Strassenverkehrs. „Unser Umweltschutzgesetz schreibt vor, wo wir den Schwerpunkt zu setzen haben. Der Fokus ist ganz klar die Schiene“, betont sie. Eine Politik, die den Strassenverkehr ausbaut, während die Schiene vernachlässigt wird, stehe im Widerspruch zu den nationalen Klimazielen.
„Sonst wird das Autofahren plötzlich wieder attraktiver.“
Diese Aussage verdeutlicht die Sorge, dass eine solche Politik die Bemühungen zur Verlagerung des Verkehrs von der Strasse auf die Schiene untergraben könnte. Die Verkehrsdirektorin deutet an, dass eine solche einseitige Schwerpunktsetzung in der Basler Bevölkerung kaum mehrheitsfähig wäre.
Mögliche politische Konsequenzen
Keller lässt durchblicken, dass die Entscheidung weitreichende politische Folgen haben könnte. Obwohl sie es nicht als Drohung bezeichnen will, stellt sie klar, dass ein Paket, das massiv in die Strasse investiert und die Schiene auf unbestimmte Zeit verschiebt, bei einer zukünftigen Volksabstimmung scheitern könnte. „Die Einseitigkeit ‹Wir investieren in die Strasse und die Schiene verschieben wir in die nächste Jahrhunderthälfte› ist in Basel weder gangbar noch mehrheitsfähig.“
Die Regierung des Kantons Basel-Stadt hat sich noch nicht offiziell zu der neuen Situation positioniert, doch die ersten Reaktionen aus verschiedenen politischen Lagern deuten auf breiten Widerstand hin. Die kommenden Monate werden zeigen, ob es der Region gelingt, in Bern Gehör zu finden und eine Korrektur der Prioritätenliste zu erwirken. Die politische Debatte wird im Januar erwartet, wenn der Bundesrat seine Vorlage präsentiert.