In Basel-Stadt hat sich eine Kultur der Pilotprojekte etabliert, die von Befürwortern als umsichtiger Weg zur Innovation gelobt wird. Doch aus der Politik kommt scharfe Kritik: Anstatt bewährte Lösungen schnell umzusetzen, würden jahrelange, teils jahrzehntelange Testphasen Projekte unnötig in die Länge ziehen und Kosten verursachen. Ein prominentes Beispiel sind die Poller zur Verkehrsberuhigung, deren Umsetzung sich über fast 20 Jahre erstreckt.
Die Debatte wirft eine grundsätzliche Frage auf: Wie viel Experiment ist nötig und wann wird es zur reinen Verzögerungstaktik? Kritiker wie der FDP-Grossrat Luca Urgese sehen darin ein systematisches Problem, das die Entwicklung der Stadt bremst und die Geduld der Bürger auf die Probe stellt.
Das Wichtigste in Kürze
- In Basel werden viele städtische Vorhaben als Pilotprojekte umgesetzt, was zu langen Zeiträumen von der Idee bis zur finalen Einführung führt.
- Das Beispiel der Polleranlagen zeigt eine Umsetzungsdauer von fast 20 Jahren von der ersten politischen Forderung bis heute.
- Kritiker vermuten, dass Pilotprojekte teilweise als politische Taktik genutzt werden, um unliebsame Projekte zu verzögern oder Widerstand zu umgehen.
- Aktuell laufen in Basel zahlreiche weitere Pilotprojekte, von Superblocks bis zur Abfalltrennung mit Unterflurcontainern.
Der Fall der Poller: Ein Exempel für die Langsamkeit
Die Geschichte der versenkbaren Poller in Basel ist symptomatisch für die Kritik an der städtischen Projektkultur. Bereits im Herbst 2005 forderte der Grosse Rat erstmals den Einsatz solcher Anlagen, um den unerlaubten Zufahrtsverkehr in bestimmten Zonen zu unterbinden. Es sollte jedoch mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis konkrete Schritte folgten.
Erst am 4. Januar 2016 wurde ein Pilotversuch am Spalenberg gestartet. Zwei Jahre später, im Jahr 2018, zog der Regierungsrat ein positives Fazit. Die Wirkung sei „eindrücklich gezeigt“ worden, hiess es in einem Bericht an das Parlament. Daraufhin wurden Gelder für weitere Standorte beantragt.
Eine Chronologie des Wartens
Die Umsetzung der Polleranlagen in Basel ist ein Prozess, der sich über zwei Jahrzehnte erstreckt:
- 2005: Der Grosse Rat fordert erstmals versenkbare Pfosten.
- 2016: Ein Pilotprojekt startet am Spalenberg – elf Jahre nach der ersten Forderung.
- 2018: Der Regierungsrat bewertet das Pilotprojekt als Erfolg.
- Heute: Fast 20 Jahre nach dem ersten Vorstoss ist eine Anlage in der Freien Strasse in Betrieb. Weitere geplante Standorte sind noch nicht realisiert, während die ursprüngliche Pilotanlage bereits erneuert werden muss.
Heute, fast zwanzig Jahre nach der ursprünglichen Idee, ist die Bilanz ernüchternd. Eine Anlage in der Freien Strasse ist in Betrieb, eine weitere bei der Kaserne wartet noch auf ihre Inbetriebnahme. Vier weitere geplante Standorte am Fischmarkt, in der Rittergasse sowie in der Steinenvorstadt lassen weiterhin auf sich warten. Für viele Beobachter stellt sich die Frage, warum eine in hunderten anderen Städten längst etablierte Technologie in Basel einen derart langwierigen Prozess durchlaufen muss.
Die drei Gesichter der Pilotprojekte
FDP-Grossrat Luca Urgese, einer der prominentesten Kritiker dieser Praxis, unterscheidet bei Pilotprojekten drei verschiedene Kategorien, die weit über den reinen Testzweck hinausgehen. Seiner Ansicht nach werden sie oft als politisches Instrument missbraucht.
Kategorie 1: Die „Zeitschinder“
Diese Projekte werden laut Urgese dann initiiert, wenn eine politische Mehrheit eine Massnahme eigentlich nicht will, sich aber nicht offen dagegenstellen kann. Man startet einen langwierigen Pilotversuch in der Hoffnung, dass sich die politischen Mehrheiten oder die öffentliche Meinung über die Jahre ändern und das Projekt stillschweigend beerdigt werden kann.
Kategorie 2: Die „Beruhigungspillen“
In diese Kategorie fallen Vorhaben, bei denen die Regierung mit erheblichem politischem Widerstand rechnet. Anstatt eine Massnahme direkt und definitiv einzuführen, wird sie als „Test“ verpackt. Die Hoffnung dahinter: Die Bevölkerung gewöhnt sich langsam an die neue Situation oder resigniert, sodass der endgültige Entscheid später leichter durchzusetzen ist.
„Statt bei den Kolleginnen und Kollegen in diesen Städten nachzufragen oder ihnen meinetwegen gar einen kleinen Besuch für einen Erfahrungsaustausch abzustatten, müssen wir offenbar alles selbst herausfinden. Denn bei uns ist natürlich alles ganz anders.“
Kategorie 3: Die „echten“ Innovationen
Urgese räumt jedoch ein, dass es auch sinnvolle Pilotprojekte gibt. Dies sei dann der Fall, wenn es sich um wirklich neue Ansätze handle, für die es auch andernorts kaum Erfahrungswerte gibt. In solchen Fällen sei ein Testlauf gerechtfertigt, um wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen und die Stadt weiterzuentwickeln.
Von Superblocks bis zu Taubenschlägen: Die Projektflut geht weiter
Die Poller sind bei weitem nicht das einzige Beispiel für die Basler Vorliebe für Testläufe. Die Liste aktueller und geplanter Pilotprojekte ist lang und vielfältig. Sie zeigt, wie tief dieser Ansatz in der städtischen Verwaltung verankert ist.
Aktuelle Pilotprojekte in Basel (Auszug)
- Superblocks: Im Matthäus- und St.-Johann-Quartier werden verkehrsberuhigte Zonen nach dem Vorbild Barcelonas getestet.
- Abfalltrennung: Im Bachlettenquartier wird ein System mit Unterflurcontainern erprobt.
- 4-Tage-Woche: Die staatliche Förderung einer reduzierten Arbeitswoche in KMU wird als Pilotprojekt diskutiert.
- Velofurte: Die Markierung von Velowegen über Fussgängerstreifen wird an ausgewählten Orten getestet.
- Gratis-Tests: Ein niederschwelliger Zugang zu Tests für sexuell übertragbare Krankheiten wird erprobt.
- Taubenschläge: Die Reaktivierung von Taubenschlägen zur Populationskontrolle wird als Pilotversuch neu aufgelegt.
Diese Vielfalt an Projekten verdeutlicht das Dilemma. Einerseits zeigt es den Willen der Stadt, neue Wege zu gehen und auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Andererseits nährt es die Befürchtung, dass auch hier bewährte Konzepte unnötig lange Testphasen durchlaufen, bevor sie flächendeckend eingeführt werden – oder eben auch nicht.
Die entscheidende Frage für die Zukunft wird sein, wie Basel eine Balance findet: zwischen dem Mut, echte Innovationen zu erproben, und der Effizienz, bereits funktionierende Lösungen zügig zu übernehmen. Ansonsten, so die Kritiker, wartet die Stadt nicht nur auf Poller, sondern auf ihre eigene Weiterentwicklung.





