Im aargauischen Fricktal entwickelt sich eine finanzielle Kluft, die Tausende von Franken im Portemonnaie der Bürger ausmacht. Während die Gemeinde Kaiseraugst dank sprudelnder Firmensteuern ihren Steuerfuss auf ein historisches Tief von 50 Prozent senken will, kämpfen Gemeinden wie Oberhof mit einem Satz von 125 Prozent ums finanzielle Überleben. Dies zeigt eine wachsende Ungleichheit, die weit über reine Zahlen hinausgeht.
Das Wichtigste in Kürze
- In Kaiseraugst soll der Steuerfuss auf 50 Prozent gesenkt werden, während er in Oberhof und Wölflinswil bei 125 Prozent liegt.
- Ein Einwohner mit 100'000 Franken steuerbarem Einkommen spart in Kaiseraugst jährlich über 5'200 Franken an Gemeindesteuern im Vergleich zu Wölflinswil.
- Die geplante Reform des kantonalen Finanzausgleichs ab 2027 könnte die finanzielle Lage für ärmere Gemeinden weiter verschärfen.
- Gemeindevertreter aus finanzschwachen Orten äussern grosse Sorge über die Zukunft und fordern politische Korrekturen.
Ein Tal, zwei Welten
Das Fricktal ist bekannt für seine idyllischen Landschaften und seine hohe Lebensqualität. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich eine finanzielle Realität, die von Gemeinde zu Gemeinde stark variiert. An einem Ende des Spektrums steht Kaiseraugst, eine Gemeinde, die von der Ansiedlung grosser internationaler Konzerne profitiert. Am anderen Ende stehen ländliche Gemeinden wie Oberhof oder Wölflinswil, die ohne grosse Firmen auskommen müssen.
Der Gemeinderat von Kaiseraugst hat der Gemeindeversammlung vorgeschlagen, den Steuerfuss für das kommende Jahr von bereits tiefen 60 auf historisch niedrige 50 Prozent zu senken. Dies ist ein Schritt, der die Gemeinde zu einem der attraktivsten Wohnorte im Kanton Aargau macht – zumindest aus steuerlicher Sicht.
Im starken Kontrast dazu stehen Gemeinden wie Oberhof und Wölflinswil. Hier beträgt der Steuerfuss aktuell 125 Prozent. Die Differenz von 75 Prozentpunkten ist keine abstrakte Zahl, sondern hat massive Auswirkungen auf die Haushaltsbudgets der Einwohner.
Was die Zahlen konkret bedeuten
Um die Dimension dieser Unterschiede zu verdeutlichen, lohnt sich ein Blick auf konkrete Rechenbeispiele. Die Zahlen basieren auf dem Steuerrechner des Kantons Aargau und berücksichtigen nur die Gemeindesteuern.
Steuerbelastung im Vergleich
Beispiel 1: Alleinstehende Person, 50'000 CHF steuerbares Einkommen
- Gemeindesteuern in Wölflinswil (125%): ca. 2'980 CHF
- Gemeindesteuern in Kaiseraugst (neu 50%): ca. 1'192 CHF
- Jährliche Ersparnis: 1'788 CHF
Beispiel 2: Person mit 100'000 CHF steuerbarem Einkommen
- Gemeindesteuern in Wölflinswil (125%): ca. 8'672 CHF
- Gemeindesteuern in Kaiseraugst (neu 50%): ca. 3'469 CHF
- Jährliche Ersparnis: 5'203 CHF
Diese Ersparnis von über 5'200 Franken pro Jahr entspricht einem grosszügigen Ferienbudget oder kann für die Altersvorsorge zurückgelegt werden. Es ist ein Betrag, der die Wahl des Wohnortes massgeblich beeinflussen kann.
Die Sorgen der finanzschwachen Gemeinden
Während in Kaiseraugst die Korken knallen könnten, blickt man in Oberhof mit grosser Sorge in die Zukunft. Roger Fricker, der langjährige Gemeindeammann von Oberhof, sieht die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Einerseits freut er sich für Kaiseraugst, denn eine Senkung dort drückt den kantonalen Durchschnittssteuerfuss, was wiederum finanzschwachen Gemeinden wie seiner potenziell höhere Ausgleichszahlungen bescheren könnte.
Doch diese Hoffnung wird von einer drohenden Gefahr überschattet: der geplanten Revision des kantonalen Finanzausgleichs, die per 1. Januar 2027 in Kraft treten soll. Fricker befürchtet dramatische Konsequenzen für seine und andere strukturschwache Gemeinden.
„Das hätte für uns wahrscheinlich zur Folge, dass wir den Steuerfuss nochmals um 10 Prozent erhöhen müssten. Ich bin sauer auf die Regierung. Das wäre ein Affront.“
Er warnt vor einem Kollaps der finanzschwachen Gemeinden, sollte die Vorlage in ihrer jetzigen Form umgesetzt werden. Er hofft auf Korrekturen im Aargauer Parlament, denn sonst sieht er schwarz. Die finanzielle Lage in Oberhof ist bereits jetzt angespannt, eine leichte Steuererhöhung für das kommende Jahr steht zur Debatte – das genaue Gegenteil der Entwicklung in Kaiseraugst.
Der Finanzausgleich erklärt
Der kantonale Finanzausgleich ist ein Solidaritätsmechanismus. Finanzstarke Gemeinden mit hohen Steuereinnahmen zahlen in einen Topf ein, aus dem finanzschwache Gemeinden unterstützt werden. Ziel ist es, die Unterschiede in der Steuerkraft zu mildern und sicherzustellen, dass alle Gemeinden ihre grundlegenden Aufgaben erfüllen können. Eine Reform dieses Systems kann die Finanzströme erheblich verändern und hat weitreichende Folgen für die Gemeindehaushalte.
Strukturelle Probleme statt Misswirtschaft
Roger Fricker betont, dass die schwierige Lage seiner Gemeinde nicht auf falsche Entscheidungen oder Misswirtschaft zurückzuführen sei. Es ist ein strukturelles Problem. „Finanziell gesehen haben wir keine Zukunft. Wir können aber nichts dafür, die Gemeinde hat nichts falsch gemacht“, erklärt er. Die malerische Landschaft allein fülle die Gemeindekasse nicht.
Die Abhängigkeit von wenigen grossen Steuerzahlern in den reichen Gemeinden schafft eine Volatilität, während ländliche Gemeinden mit Abwanderung und steigenden Kosten für die Infrastruktur kämpfen. Die Schere zwischen Arm und Reich droht weiter auseinanderzugehen.
Mit einem ironischen Unterton schlägt Fricker unkonventionelle Lösungen vor: „Die Gemeinde Kaiseraugst könnte uns ja quersubventionieren und dies mit dem Finanzausgleich verrechnen.“ Er fügt hinzu: „Vielleicht sollten wir auch eine Fusion mit Kaiseraugst in Betracht ziehen.“ Auch wenn diese Vorschläge nicht ganz ernst gemeint sind, verdeutlichen sie die Verzweiflung und den dringenden Handlungsbedarf.
Die Debatte um die Steuerfüsse im Fricktal ist mehr als nur eine lokale Angelegenheit. Sie ist ein Symptom für eine landesweite Herausforderung: Wie kann ein fairer Ausgleich zwischen urbanen, wirtschaftsstarken Zentren und ländlichen, strukturschwachen Regionen geschaffen werden, damit die Lebensqualität nicht vom Wohnort abhängt?





