Das geplante S-Bahn-Projekt "Herzstück" in Basel stösst bei Experten auf Skepsis. Eine Untersuchung der ETH Zürich spricht sich gegen den Ausbau aus. Dies stellt die Basler Regierung vor Herausforderungen, insbesondere Regierungsrätin Esther Keller, die das Projekt vehement unterstützt. Die Kosten von 14 Milliarden Franken und die Realisierbarkeit bis 2045 sind zentrale Streitpunkte.
Wichtige Erkenntnisse
- ETH-Experten stufen "Herzstück" als nicht prioritär ein.
- Das Gesamtprojekt kostet voraussichtlich 14 Milliarden Franken.
- Ein Tiefbahnhof alleine gilt nicht als sinnvolle Teillösung.
- Die Realisierung vor 2045 ist aufgrund der nationalen Projektlage unwahrscheinlich.
- Der Bahnknoten Basel benötigt Verbesserungen, aber nicht zwingend das "Herzstück".
Kleine Schritte und grosse Visionen im Basler Bahnausbau
Regierungsrätin Esther Keller äusserte sich kürzlich zur Situation des Basler Bahnausbaus. Sie betonte, dass in Basel lange Zeit wenig geschehen sei und ein erheblicher Nachholbedarf bestehe. Diese Einschätzung wird jedoch relativiert, wenn man die kleineren, aber wichtigen Projekte betrachtet, die bereits umgesetzt wurden oder aktuell laufen.
Der Bahnhof Basel SBB wird kontinuierlich umgestaltet und erweitert. Es entstanden neue Perrons und eine provisorische Passerelle. Diese Massnahmen schaffen mehr Platz für Reisende und Züge. Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist der Ausbau der Elsässerbahn. Diese Strecke verbindet den Bahnhof SBB mit der französischen Grenze. Ziel ist die Schaffung eines 4-Meter-Korridors für den Güterverkehr auf der linksrheinischen Nord-Süd-Achse.
SBB-Chef Vincent Ducrot bezifferte die aktuellen Investitionen in der Region Basel im Januar auf 1,7 Milliarden Franken. Diese Summe fliesst in verschiedene Projekte zur Verbesserung der Bahninfrastruktur, die oft übersehen werden, wenn die Diskussion sich auf das "Herzstück" konzentriert.
Der 100-Millionen-Franken-Planungskredit
Die Planungen für das "Herzstück" sind bereits weit fortgeschritten. Esther Keller zeigte sich beeindruckt vom Detaillierungsgrad. Die Pläne umfassen sogar die genaue Lage der Abgänge zur geplanten Station Mitte im Bereich Marktplatz bei der Schifflände. Dies ist das Ergebnis eines Planungskredits von 100 Millionen Franken, der für diese Vorarbeiten gesprochen wurde.
SBB-Ingenieure arbeiten seit fünf Jahren an der Evaluation, Konzeption und detaillierten Planung des Projekts. Diese Planungsarbeit stellt selbst eine signifikante Investition in den Bahnausbau dar. Sie zeigt das Engagement, das in das "Herzstück" bereits geflossen ist, trotz der nun aufkommenden kritischen Stimmen.
Faktencheck: Herzstück und Güterverkehr
Die Annahme, der Güterverkehr über Basel hänge direkt mit dem "Herzstück" zusammen, ist nur bedingt korrekt. Güterzüge aus oder nach Deutschland nutzen seit 2012 eine neu gebaute Rheinbrücke. Diese führt direkt zum Rangierbahnhof Muttenz. Für den prognostizierten Anstieg des Güterverkehrs aus Frankreich reicht die Kapazität der Elsässerbahn vorerst aus.
Alternativen zum "Herzstück": Kapazitätssteigerung ohne Milliardeninvestitionen?
Die zentrale Frage ist, ob der Ausbau des Bahnknotens Basel auch ohne das "Herzstück" möglich ist. Regierungsrätin Keller verneint dies. Sie betont die Notwendigkeit dieses unterirdischen Ausbaus. Doch es gibt andere Perspektiven.
Die Elsässerbahn, die älteste Eisenbahnstrecke der Schweiz, könnte erweitert werden. Ein Ausbau um mindestens eine Spur wäre denkbar. Dies würde ohne den Abriss von Häusern auskommen. Allerdings steht der Naturschutz dem entgegen. Insbesondere die "Trockenwiesen von nationaler Bedeutung" stellen ein Hindernis dar.
Professor Weidmann von der ETH Zürich gibt zu bedenken: "Die hohe Trassenbelegung in der östlichen Einfahrt zum Bahnhof SBB und im Raum Gellert könnte erheblich reduziert werden, wenn die ICE in Richtung Deutschland auf die Spitzkehre verzichten und von Muttenz her kommend direkt den Badischen Bahnhof anfahren würden."
Diese Umstellung würde ebenfalls Kosten verursachen, aber deutlich weniger als die prognostizierten 14 Milliarden Franken für das "Herzstück". Solche Alternativen müssen in der aktuellen Debatte sorgfältig geprüft werden.
Etappierung oder Gesamtprojekt: Die Sicht der Experten
Esther Keller plädiert für eine Etappierung des "Herzstücks". Professor Ulrich Weidmann von der ETH Zürich lehnt dies jedoch ab. Ein Tiefbahnhof alleine, der erst Jahre später an eine unterirdische Linie zum Badischen Bahnhof angeschlossen wird, sei nicht sinnvoll. Weidmann vergibt dem Tiefbahnhof alleine lediglich die Priorität 6. Dieser Tiefbahnhof würde bereits 3,5 Milliarden Franken kosten.
Weidmann bevorzugt das "Herzstück" als Gesamtprojekt. Dieses würde die vollen 14 Milliarden Franken kosten. Für die Zeit nach 2045 erhält es in seiner Analyse die Priorität 2. Dies zeigt die Dringlichkeit, die er dem Gesamtprojekt beimisst, allerdings mit einem Blick auf eine spätere Realisierung.
Hintergrund: Nationale Investitionen und Basels Anteil
Ulrich Weidmann hat schweizweit rund 500 Projekte untersucht. Für diese Projekte stehen bis 2045 maximal 40 Milliarden Franken zur Verfügung. Das Basler "Herzstück" würde als eines von 500 Projekten etwa ein Drittel dieser gesamten nationalen Mittel beanspruchen. Diese Proportion erscheint vielen Beobachtern als unrealistisch.
Der Bahnknoten Basel und das "Herzstück" sind nicht dasselbe
Es ist wichtig, den Bahnknoten Basel und das "Herzstück" nicht gleichzusetzen. Eine Verbesserung des Bahnknotens ist unbestreitbar notwendig, um mehr S-Bahn-Verbindungen zu ermöglichen. Selbst wenn Basel das "Herzstück" zugesprochen bekäme, würde die Inbetriebnahme erst in rund 20 Jahren erfolgen. Die Pläne sind noch nicht auf der Stufe eines Bauprojekts. "Da ist uns Luzern mit seinem Durchgangsbahnhof tatsächlich voraus", räumt Esther Keller ein.
Zürichs Durchmesserlinie versus Basels "Herzstück"
Basler Politiker ziehen oft Vergleiche zur Durchmesserlinie in Zürich. Dabei wird jedoch ein wesentlicher Unterschied übersehen: Der Tiefbahnhof der Zürcher Durchmesserlinie ist ein Durchgangsbahnhof für Schnellzüge auf der Ost-West-Achse. Er hat einen klaren nationalen Nutzen.
Mitte der 2010er-Jahre stellten SBB-Fachleute fest, dass die Neigungswinkel und Kurvenradien der Basler "Herzstück"-Planung Schnellzüge durch diese unterirdische Verbindung unmöglich machen. Damit verlor das Basler Projekt seinen direkten nationalen Nutzen. Trotzdem stieg das Preisschild von ursprünglich rund 3 Milliarden Franken auf 14 Milliarden Franken an.
Basels Einfluss in Bern und ungenutzte Potenziale
Die Frage, ob "laut werden" in Bern für Basel Früchte trägt, ist umstritten. Die Nordwestschweiz verfügt über eine vergleichsweise geringe Anzahl an Parlamentariern. Selbst mit Unterstützung aus Solothurn, Aargau und Jura ist der Einfluss begrenzt. Das Mittelland würde sich im Zweifelsfall für den Tiefbahnhof Luzern entscheiden, da dieser einen klar nationalen Nutzen aufweist.
Ein ungenutztes Potenzial stellt der Bahnhof St. Johann dar. Er liegt im Westen der Stadt und könnte eine wichtige Verkehrsdrehscheibe sein. Der Bahnhof ist ein Überbleibsel der "Ligne Verte", die 2008 wegen eines Streits mit Frankreich eingestellt wurde. Er symbolisiert vergangene Fehler in der S-Bahn-Planung.
Auch bei jüngeren Planungen gab es Kritik. Verkehrsexperte Weidmann stuft die geplante Station Solitude mit Priorität 6 ein. Sie sei "an technisch-betrieblich ungünstigster Lage" und zu nahe am Badischen Bahnhof.
Anbindung von Allschwil: Eine wichtige S-Bahn-Haltestelle
Die bevölkerungsreichste Gemeinde des Kantons Baselland, Allschwil, soll mit der S-Bahn-Haltestelle Neuallschwil angebunden werden. Ulrich Weidmann befürwortet diese Anbindung ausdrücklich. Die Ironie dabei ist, dass diese wichtige Haltestelle nicht an die geplanten Linien des "Herzstücks" angebunden wird. Dies unterstreicht die Komplexität und die unterschiedlichen Prioritäten innerhalb der regionalen Verkehrsplanung.
Die Diskussion um das Basler "Herzstück" zeigt die Herausforderungen bei der Planung grosser Infrastrukturprojekte. Zwischen regionalen Bedürfnissen, nationaler Priorisierung und finanziellen Realitäten muss ein gangbarer Weg gefunden werden, um die Mobilität in der Region Basel zukunftsfähig zu gestalten.