Basel-Stadt wagt einen schweizweit einzigartigen Schritt: Der Grosse Rat hat dem freiwilligen Direktabzug von Steuern direkt vom Lohn zugestimmt. Dieses Pilotprojekt soll Bürgerinnen und Bürgern helfen, Schulden zu vermeiden und die Steuerzahlung zu vereinfachen. Das Modell, das Züge einer Quellensteuer trägt, stösst auf gemischte Reaktionen, könnte aber eine Vorreiterrolle für andere Kantone spielen.
Wichtige Punkte
- Basel-Stadt genehmigt freiwilligen Steuerabzug direkt vom Lohn.
- Ziel ist die Reduktion von Steuerschulden, von denen etwa 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung betroffen sind.
- Der Abzug ist freiwillig und soll primär bei Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitenden greifen.
- Wirtschaftsverbände haben ein Referendum ergriffen.
- Befürworter hoffen auf eine Signalwirkung für weitere Kantone.
Ein neues Modell zur Schuldenprävention
Die Idee hinter dem freiwilligen Direktabzug ist einfach: Ein fixer Prozentsatz des monatlichen Einkommens, beispielsweise zehn Prozent, wird automatisch für die Steuern zurückgelegt. Dieser Betrag wird direkt vom Arbeitgeber einbehalten und an den Staat abgeführt. Dies soll verhindern, dass sich Personen unbemerkt Steuerschulden aufbauen.
Pascal Pfister, Geschäftsleiter von Schuldenberatung Schweiz und SP-Grossrat in Basel, ist einer der Hauptakteure hinter dieser Initiative. Er sieht darin einen wichtigen Schritt, um die Verschuldung in der Bevölkerung zu reduzieren. Seine Organisation berät jährlich rund 6000 Menschen, von denen ein Grossteil, etwa vier Fünftel, mit Steuerschulden zu kämpfen hat.
Faktencheck
- Rund 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben Steuerschulden.
- Der durchschnittliche Schuldenbetrag bei Ratsuchenden liegt bei 60'000 Franken.
- Häufigste Ursachen für Verschuldung sind Gesundheitsprobleme, Trennungen und Arbeitslosigkeit.
Der Weg zur Genehmigung
Die Einführung des Direktabzugs war kein einfacher Prozess. Bereits vor acht Jahren scheiterte eine ähnliche Initiative in Basel. Auch auf nationaler Ebene gab es Widerstand; der Bundesrat sprach sich mehrfach gegen solche Ansätze aus. Erst 2023 lehnte der Ständerat einen entsprechenden Vorstoss ab. Der jüngste Erfolg in Basel-Stadt ist daher ein Durchbruch für die Befürworter.
Im Grossen Rat fiel die Entscheidung äusserst knapp aus: Mit 49 zu 48 Stimmen wurde der Vorlage zugestimmt. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die Enthaltung des Mitte-Politikers Bruno Lötscher-Steiger. Er begründete seine Entscheidung mit den menschlichen Tragödien, die er als langjähriger Präsident des Zivilgerichts immer wieder im Zusammenhang mit Verschuldung erlebt hat.
«Das sind menschliche Tragödien. Wir könnten diese eigentlich vermeiden.»
Kontroverse um die Rolle des Staates
Der Direktabzug wirft grundlegende Fragen zur Rolle des Staates auf. Soll der Staat die Steuerzahlung primär den Bürgerinnen und Bürgern überlassen oder aktiv eingreifen, um Verschuldung zu verhindern? Pascal Pfister befürwortet klar Letzteres. Er argumentiert, dass präventive Massnahmen effektiver sind als nachträgliche Hilfen.
Gegner, darunter FDP-Ständeräte und bürgerliche Basler Parteien, halten dagegen. Sie sind der Meinung, dass es bereits genügend Instrumente zur Unterstützung von Menschen mit Geldproblemen gibt. Die provisorische Steuerrechnung, die eine Vorauszahlung ermöglicht, wird oft als Beispiel genannt. Pfister entgegnet jedoch, dass diese Möglichkeit kaum genutzt wird, selbst von Betroffenen, die sie für sinnvoll halten.
Hintergrund: Quellensteuer in der Schweiz
Eine Quellensteuer wird in der Schweiz üblicherweise nur von Grenzgängern und Personen ohne Niederlassungsbewilligung erhoben. Der Basler Direktabzug ist eine Ausnahme, da er freiwillig ist und sich an alle Angestellten richtet. Er behält jedoch den Mechanismus des direkten Lohnabzugs bei, der sonst nur bei der Quellensteuer angewendet wird.
Vergleich mit Organspende-Modell
Pfister zieht einen Vergleich zum Opt-out-System bei der Organspende. Wer sich nicht aktiv gegen den Direktabzug entscheidet, nimmt automatisch daran teil. Dies sei «zehnmal effizienter als eine Flyeraktion», so Pfister. Er ist überzeugt, dass dieser Ansatz die Beteiligungsquote deutlich erhöhen wird.
Trotz der Zustimmung im Grossen Rat haben Basler Wirtschaftsverbände das Referendum ergriffen. Dies bedeutet, dass die Einführung des Direktabzugs noch nicht endgültig ist und die Basler Bevölkerung voraussichtlich an der Urne darüber entscheiden wird.
Auswirkungen und Ausblick
Luzius Cavelti, Professor für Steuerrecht an der Universität Basel, betont die besondere Nähe zwischen Staat und Bürger im Schweizer Steuersystem. Bürger füllen ihre Steuererklärung selbst aus, der Staat vertraut auf deren Richtigkeit. Dies fördert ein Verhältnis, das auf Vertrauen statt auf Kontrolle basiert.
Cavelti glaubt nicht, dass der freiwillige Direktabzug dieses Verhältnis grundlegend verändern wird. Für Arbeitnehmer bleibt er freiwillig, die Steuererklärung muss weiterhin ausgefüllt werden, und aufgrund seiner Ausgestaltung dürfte er nicht alle Basler betreffen. Von den rund 200'000 Einwohnern Basels könnten etwa 40'000 Personen vom Abzug profitieren. Aktuell haben etwa 5500 Basler Steuerschulden.
Ein Experiment mit ungewissem Ausgang
Die grosse Frage ist nun: Wie wird sich der freiwillige Direktabzug in der Praxis bewähren? Pfister spricht von einem Experiment, dessen Wirkung man über mehrere Jahre beobachten und begleiten muss. Er schliesst nicht aus, dass man bei Misserfolg einen Schritt zurück machen könnte.
Eine in Auftrag gegebene Studie der Befürworter zeigt jedoch optimistische Prognosen: Mittelfristig soll das Risiko für Verschuldungen sinken. Die Wirkung könnte sich sogar erheblich verstärken, wenn andere Kantone dem Basler Beispiel folgen würden. Dies ist die grosse Hoffnung der Befürworter und gleichzeitig die Befürchtung der Gegner: dass Basel-Stadt eine wahre Steuerrevolution in der Schweiz auslösen könnte.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob das Basler Modell Bestand hat und ob der Funke tatsächlich auf andere Kantone überspringt. Es bleibt ein spannendes Thema für die Schweizer Steuerlandschaft.





