In Basel sorgt der geplante Abriss des architektonisch bedeutenden Bau 52 auf dem Roche-Südareal für grosse Diskussionen. Der Pharmakonzern möchte das Gebäude aus dem Jahr 1960 durch eine asphaltierte Zufahrt ersetzen. Dagegen formiert sich breiter Widerstand aus Fachkreisen, der durch eine Petition und die Empfehlungen der kantonalen Bau- und Raumplanungskommission unterstützt wird.
Die Auseinandersetzung wirft grundsätzliche Fragen zur Nachhaltigkeit, zum Denkmalschutz und zur städtebaulichen Verantwortung auf. Während Roche den Abriss als notwendig für die Erreichung seiner Klimaziele darstellt, argumentieren die Gegner, dass der Erhalt des Gebäudes aus ökologischen und baukulturellen Gründen die weitaus nachhaltigere Lösung wäre. Die Entscheidung liegt nun beim Basler Parlament.
Das Wichtigste in Kürze
- Roche plant den Abriss des 1960 von Roland Rohn erbauten Bau 52, um eine Zufahrt für den Bau 1 zu schaffen.
- Eine Petition fordert den Erhalt des Gebäudes und wird von namhaften nationalen und internationalen Architekten unterstützt.
- Die kantonale Bau- und Raumplanungskommission (BRK) empfiehlt in einem Bericht ebenfalls den Erhalt und hält eine Sanierung für machbar und wirtschaftlich.
- Die Debatte stellt die Nachhaltigkeitsstrategie von Roche in Frage und thematisiert den Umgang mit bestehender Bausubstanz.
- Das Basler Parlament wird am 15. Oktober über die von der BRK geforderten Anpassungen am Bebauungsplan beraten.
Ein architektonischer Zeitzeuge in Gefahr
Im Zentrum der Kontroverse steht der Bau 52, ein Verwaltungsgebäude auf dem Südareal des Pharmakonzerns Roche. Das 1960 nach den Plänen des renommierten Architekten Roland Rohn fertiggestellte Gebäude gilt als ein Schlüsselwerk der Basler Nachkriegsmoderne. Seine Fassade, eine sogenannte Curtain-Wall-Konstruktion, war eine der ersten ihrer Art in der Schweiz und wurde vom UNO-Hauptquartier in New York inspiriert.
Trotz seiner architektonischen Bedeutung soll das Gebäude nun einer asphaltierten Vorfahrt für den benachbarten Bau 1 weichen, den ersten der neuen Roche-Türme. Dieser Plan ist Teil des neuen Bebauungsplans für das Südareal, den Roche vorantreibt. Brisant ist dabei, dass ein früherer Bebauungsplan aus dem Jahr 2010, der den Bau des Turms erst ermöglichte, den Erhalt des Bau 52 explizit gesichert hatte.
Historische Einordnung des Bau 52
Der Architekt Roland Rohn (1905–1971) war einer der prägendsten Schweizer Architekten der Nachkriegszeit. Der Bau 52 ist ein herausragendes Beispiel für den internationalen Stil, der Funktionalität, Transparenz und technische Innovation vereinte. Die Curtain-Wall-Fassade, bei der die Aussenwand keine tragende Funktion mehr hat und wie ein Vorhang vor die Struktur gehängt wird, war damals ein Symbol für Fortschritt und Modernität.
Die Argumente im Widerstreit
Die Fronten in der Debatte sind klar abgesteckt und die Argumente könnten unterschiedlicher nicht sein. Beide Seiten berufen sich auf das Thema Nachhaltigkeit, interpretieren es jedoch grundlegend verschieden.
Die Position von Roche
Roche argumentiert, der Abriss sei eine Voraussetzung zur Erreichung der Klimaziele des Unternehmens. Der operative Standortleiter erklärte gegenüber SRF: «Wir werden unsere Klimaziele nicht erreichen können, wenn wir diesen Bau nicht abbrechen können.» Genaue Details, wie der Abriss eines intakten Gebäudes zugunsten einer versiegelten Verkehrsfläche zur CO2-Reduktion beitragen soll, wurden jedoch nicht umfassend dargelegt. Vermutet wird, dass die Logistik und der Betrieb des Areals ohne das Gebäude effizienter gestaltet werden könnten.
Die Gegenposition der Kritiker
Die Initianten der Petition «Innovation ist Renovation, nicht Abbruch!» sehen in den Plänen von Roche einen klaren Widerspruch zu den proklamierten Nachhaltigkeitszielen wie CO2-Reduktion und Kreislaufwirtschaft. Ein baukulturell wertvolles Gebäude mit einer flexiblen und soliden Struktur abzureissen, um eine Asphaltfläche zu schaffen, sei das Gegenteil von nachhaltigem Handeln.
«Ein baukulturell wertvolles Gebäude mit guter und flexibler Struktur für eine asphaltierte Vorfahrt abzubrechen, das sei das Gegenteil von dem, was Roche in seinen Nachhaltigkeitsstrategien proklamiere: CO2-Reduktion und Kreislaufwirtschaft.»
Die Kritiker betonen die grosse Menge an «grauer Energie», die im Beton und Stahl des Gebäudes gespeichert ist. Ein Abriss würde diese Energie vernichten und grosse Mengen an CO2 durch den Bau der neuen Zufahrt freisetzen. Eine Sanierung und Umnutzung sei der ökologisch und ökonomisch sinnvollere Weg.
Breite Unterstützung für den Erhalt
Der Widerstand gegen die Abrisspläne wird von einer breiten Allianz aus Fachleuten und Institutionen getragen. Die Petition wurde von zahlreichen bekannten Persönlichkeiten aus der Basler und internationalen Architekturszene unterzeichnet.
- Lokale Grössen: Andreas Ruby, Barbara Buser, Eric Honegger, Dorothée Huber.
- Akademische Welt: Die Professoren Axel Schubert und Tim Seidel.
- Nachhaltigkeitsinitiativen: Viele Mitglieder von Countdown 2030.
- Internationale Namen: Nanni Grau, Gabu Heindl, Freek Persyn, Eike Roswag-Klinge sowie das renommierte Architekturbüro Lacaton & Vassal, das für seine Umnutzungsprojekte bekannt ist.
Die Rolle der Bau- und Raumplanungskommission (BRK)
Die stärkste offizielle Unterstützung kommt von der kantonalen Bau- und Raumplanungskommission. In einem 63-seitigen Bericht fordert die BRK mehrere Anpassungen am Bebauungsplan für das Roche-Südareal. Die zentrale Empfehlung lautet, den Bau 52 zu erhalten. Der Bericht stellt fest, dass das Gebäude in einem «guten Allgemeinzustand» ist und sowohl eine energetische Sanierung als auch eine vollständige Erdbebenertüchtigung nach Norm SIA 261 möglich seien.
Wirtschaftlichkeit der Sanierung
Der Bericht der BRK widerlegt auch die von Roche angedeutete Unwirtschaftlichkeit einer Sanierung. Laut den Experten der Kommission ist die Flächenbilanz des Gebäudes besser als vom Unternehmen dargestellt. Zudem seien die Investitionskosten pro Quadratmeter bei einer Sanierung «deutlich geringer» als bei einem Neubau. Diese Fakten entkräften das Argument, ein Erhalt sei finanziell nicht tragbar.
Ein Kompromissvorschlag liegt auf dem Tisch
Lukas Gruntz, Mitinitiant der Petition und Mitglied von Architektur Basel, betont, dass die Forderungen der BRK einen «guten Kompromiss» darstellen. Die Kritiker stellen sich nicht grundsätzlich gegen die Weiterentwicklung des Roche-Areals. Weder der geplante Bau eines dritten Hochhauses noch der grossflächige Abriss der sogenannten «weissen Fabrik von Rohn am Rhein» werden in Frage gestellt.
In der Gesamtabwägung sei der Erhalt des Bau 52 jedoch nicht nur zumutbar, sondern die richtige Entscheidung. Er stelle ein wichtiges Bekenntnis zur Baukultur und zu einer glaubwürdigen Nachhaltigkeit dar, die über reine Marketing-Botschaften hinausgeht.
Politische Entscheidung steht bevor
Die Auseinandersetzung um den Bau 52 erreicht nun ihre entscheidende Phase. Am 15. Oktober wird das Basler Parlament über den Bebauungsplan und die von der BRK geforderten Anpassungen debattieren. Die Entscheidung der Politik wird wegweisend sein für den zukünftigen Umgang mit wertvoller Bausubstanz in der Stadt.
Die Initianten der Petition hoffen, bis dahin genügend Unterschriften zu sammeln, um dem politischen Druck Nachdruck zu verleihen. Der Fall Bau 52 ist zu einem Symbol für die Frage geworden, wie eine Stadt wachsen kann, ohne ihre Geschichte und ihre ökologischen Prinzipien zu opfern.